Nach dem Erbfall: Supervermächtnis kann Freibeträge retten

Bei der Nachlassplanung unter Ehegatten steht regelmäßig die Absicherung des länger lebenden Ehegatten im Vordergrund. Dieser soll zunächst das eheliche Vermögen als Alleinerbe erhalten, während die Kinder der Eheleute erst bedacht werden, wenn auch der länger lebende Ehegatte verstorben ist. Dieser Wunsch ist umso ausgeprägter, je weniger liquide das eheliche Vermögen ist. So soll beispielsweise nicht die selbstgenutzte Immobilie verkauft werden müssen, um die Kinder am Nachlass des erstversterbenden Ehegatten beteiligen zu können.
Eine in der Praxis oft gewählte Gestaltungsmöglichkeit ist das Berliner Testament. Die Kinder werden von dem erstversterbenden Ehegatten enterbt, um später den zweitversterbenden Ehegatten, in dessen Händen sich das gesamte Vermögen der Ehegatten vereinigt hat, zu beerben. Auf diese Weise wird das Absicherungsinteresse des länger lebenden Ehegatten zwar gut abgebildet. Es führt jedoch zwangsläufig dazu, dass der steuerliche Freibetrag, den die Kinder nach dem Tode des erstversterbenden Elternteils geltend machen könnten, ungenutzt bleibt.
Ein Beispiel: Je Kind bzw. Stiefkind steht ein Freibetrag von 400.000 Euro zur Verfügung. Bei drei (enterbten) Kindern und einem Nachlassvermögen des erstversterbenden Ehegatten von drei Millionen Euro erhöht sich die Steuerschuld um dreimal 400.000 Euro (Freibetrag) mal 19 Prozent (Steuersatz) – in Summe 228.000 Euro.
Um diese steuerliche Belastung zu vermeiden, hat sich das sogenannte Supervermächtnis als flexibles und steuergünstiges Gestaltungsmittel etabliert.
Typische Ausgestaltung des SupervermächtnissesDas Supervermächtnis baut auf dem klassischen Vermächtnis auf (Kombination aus Zweck- und Bestimmungsvermächtnis), verleiht diesem aber eine besondere Flexibilität.
Das Supervermächtnis wird überwiegend in Ehegattentestamenten eingesetzt und knüpft an die Gestaltung des Berliner Testaments an: Der überlebende Ehegatte wird Alleinerbe des Erstversterbenden. Der überlebende Ehegatte wird aber zugleich mit dem Recht ausgestattet, nach dem Tode des erstversterbenden Ehegatten einen Vermächtnisnehmer – beispielsweise gemeinsame Kinder – zu bestimmen und diesen mit Nachlassvermögen des erstversterbenden Ehegatten auszustatten (sogenanntes Bestimmungsrecht).
Die Besonderheit liegt somit darin, dass der überlebende Ehegatte im Nachhinein (postmortal) für den bereits verstorbenen Ehegatten entscheiden kann, ob und in welchem Umfang weitere Personen am Nachlass beteiligt werden. Der erstversterbende Ehegatte kann auf diese Weise an den länger lebenden Ehegatten die Entscheidung delegieren, ob die Kinder oder auch andere Personen am Nachlass beteiligt werden (und so die steuerlichen Freibeträge genutzt werden können).
Gelangt der überlebende Ehegatte nach dem Erbfall zu der Einschätzung, dass keine oder nur ungenügend freie Liquidität vorhanden ist, um den Kindern Vermögen aus dem Nachlass zuzuweisen, kann er auf die Ausübung des Bestimmungsrechts verzichten. Anderenfalls gibt er im Rahmen freien Ermessens Nachlassvermögen vom erstversterbenden Ehegatten an die Vermächtnisnehmer weiter.
Wie weit das Bestimmungsrecht des Alleinerben reichen soll, legt der erstversterbende Ehegatte in seinem Testament fest. Auf dieser Grundlage bestimmt der Alleinerbe nach dem Erbfall den konkreten Vermächtnisnehmer, den Zeitpunkt der Erfüllung des Vermächtnisses (§ 2181 BGB) sowie den Wert und Gegenstand des Vermächtnisses.
Supervermächtnis und ErbschaftsteuerErbschaftsteuerlich wird das Supervermächtnis als „Erwerb von Todes wegen“ behandelt. Der Vermächtnisnehmer muss das Supervermächtnis nach dem erstversterbenden Ehegatten versteuern. Weil die Besteuerung im Verhältnis zwischen dem erstversterbenden Ehegatten und dem Vermächtnisnehmer erfolgt, kann dieser den hier bestehenden Freibetrag nutzen.Maßgeblich für die Besteuerung ist der Zeitpunkt, zu dem das Vermächtnis fällig wird.
Bei einem aufschiebend bedingten Vermächtnis – also, wenn das Vermächtnis erst zu einem späteren Zeitpunkt nach dem Erbfall anfällt – entsteht die Steuer grundsätzlich erst mit Eintritt der Bedingung. Dies eröffnet Gestaltungsspielräume, birgt aber auch Risiken: Wird das Vermächtnis zu spät, das heißt erst nach dem Tod des Alleinerben, fällig, gehen die Steuerfreibeträge nach dem erstversterbenden Ehegatten verloren.
Ziel und Vorteile des SupervermächtnissesDas Supervermächtnis verfolgt zwei Hauptziele: Zum einen soll die steuerliche Belastung optimiert werden, zum anderen erhält der länger lebende Ehegatte maximale Flexibilität und Kontrolle über den Nachlass.
Im Gegensatz zum klassischen Berliner Testament, bei dem die Kinder erst nach dem Tod beider Elternteile erben, können sie durch das Supervermächtnis bereits beim ersten Erbfall begünstigt werden. Hierdurch werden die persönlichen Freibeträge der Kinder bereits beim ersten Erbfall genutzt. Eine Doppelbesteuerung in Höhe der Freibeträge und ein möglicher Progressionsnachteil werden vermieden.
Das Supervermächtnis erlaubt es damit, die Vermögensnachfolge auf einen Zeitpunkt zu verschieben, an dem die Bedürfnisse des überlebenden Ehegatten und die Situation der Kinder klarer sind. Der Alleinerbe kann die Auszahlung des Vermächtnisses an seine eigene Versorgungslage anpassen; da er den Fälligkeitszeitpunkt selbst bestimmen kann, muss er nicht sofort Vermögen an die Kinder abgeben. Der überlebende Ehegatte erhält hierdurch vor allem die Chance, auf dem Boden einer deutlich verbesserten Erkenntnislage zu entscheiden, ob das eigene, dauerhafte Absicherungsinteresse die frühzeitige Vermögensbeteiligung der Kinder gestattet.
Das Supervermächtnis kann auch dazu genutzt werden, um Pflichtteilsstreitigkeiten zu entschärfen oder besondere familiäre Situationen, etwa bei unselbständigen Kindern, flexibel zu berücksichtigen und den Nachlass individueller zu verteilen.
Risiken und GrenzenDem Supervermächtnis fehlen sowohl eine eigenständige gesetzliche Grundlage als auch höchstrichterliche Entscheidungen. In einzelnen obergerichtlichen Entscheidungen wurde das Supervermächtnis ausdrücklich anerkannt, sofern der Kreis der möglichen Begünstigten und der Zweck ausreichend bestimmt sind (Oberlandesgericht Hamm, Az. 15 W 256/18).
Schwieriger ist die Frage der steuerrechtlichen Anerkennung durch den Bundesfinanzhof in Hinblick auf die gewünschten steuerlichen Vorteile. Der Vorwurf des Gestaltungsmissbrauchs ist zwar nicht wahrscheinlich, aber nicht mit letzter Gewissheit ausgeschlossen. Nicht zuletzt ist die Flexibilität des Supervermächtnisses zugleich seine größte Schwäche. Wird das Bestimmungsrecht zu weit gefasst, kann das Vermächtnis als unzulässige Erbeinsetzung gewertet werden.
FazitDas Supervermächtnis ist ein modernes und flexibles Instrument der Nachlassgestaltung, das vor allem bei Ehegattentestamenten erhebliche Vorteile bietet. Es hilft, die zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung oft vage Vorstellung darüber auszugleichen, wie sich die Zukunft entwickeln wird. Entscheidungen, die bei Testamentserrichtung noch nicht oder nur vorläufig getroffen werden können, dürfen mittels des länger lebenden Ehegatten nach dem Ableben des erstversterbenden Ehegatten innerhalb vorgegebener Leitplanken korrigiert werden.
Das Supervermächtnis sichert in erster Linie die Möglichkeit, steuerliche Freibeträge nicht ungenutzt zu lassen. Es geht aber weit darüber hinaus und schafft die Voraussetzung für ein zielgerichtetes Nachjustieren von letztwilligen Verfügungen, die den nachlaufenden Entwicklungen seit ihrer Errichtung nicht mehr gerecht werden.
Über den Autor:
Jens-Hendrik Kern ist Rechtsanwalt und Partner bei SKW Schwarz in München. Kern berät vor allem im Bereich der Unternehmens- und Vermögensnachfolge einschließlich aller damit in Zusammenhang stehenden erbrechtlichen, familienrechtlichen, gesellschaftsrechtlichen und steuerlichen Fragen.
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