Staatsschulden: Schuldenbremse: Bundesbank drängt zu Reformen
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Mehr Geld für Verteidigung und Infrastruktur soll eine Reform der Schuldenbremse im Grundgesetz ermöglichen. Wie das gelingen könnte, dazu will die Bundesbank „binnen zwei Wochen“ einen Vorschlag vorlegen – und sich an ihrer alten Idee orientieren
Nur noch wenige Tage werden die künftigen Regierungsparteien in Berlin auf das Konzept der Bundesbank zur Überarbeitung der deutschen Fiskalregeln warten müssen. „Wir legen in weniger als zwei Wochen einen Vorschlag vor“, sagte am Dienstag Bundesbank-Präsident Joachim Nagel während der Bilanzpressekonferenz. „Ich wünsche mir, dass man sich diesen Vorschlag anschaut.“
Nagel reagierte damit auf die Eile im politischen Berlin, möglicherweise noch vor der Konstituierung des neuen Bundestages entweder die im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse zu reformieren oder mittels eines oder mehrerer sogenannter Sondervermögen Verteidigungs- bzw. Infrastruktausgaben zu finanzieren. Damit will man die Zweidrittelmehrheit der Parteien von CDU/CSU, FDP, Grüne, SPD im alten Bundestag für die notwendigen Änderungen des Grundgesetzes nutzen. Im neuen Parlament wäre dies nur mit der Linkspartei möglich, die zwar traditionell ausgabefreudig, aber stets kritisch gegen Rüstungsausgaben westlicher Nationen eingestellt ist.
Nagel kündigte an, die Bundesbank werde auf einem bereits drei Jahre alten Vorschlag aufbauen. Ihr Kern ist es, dem Bund höhere neue Schulden zu erlauben, solange sein Schuldenstand weniger als 60 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung beträgt. Diese Grenze ist eines der EU-Maastricht-Kriterien für die Teilnahme an der Europäischen Währungsunion, das derzeit von sehr vielen Euro-Staaten gerissen wird.
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Deutschland liegt knapp über der Schwelle. Wegen der Inflation und kaum neuer Schulden sinkt ihre Quote jedoch ständig ab, sodass nach dem damaligen Vorschlag der Bundesbank mehr neue Kredite möglich wären. Sie schlug 2022 vor, unterhalb der 60-Prozent-Marke eine Netto-Kreditaufnahme von 1,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erlauben; zwischen 60 und 90 Prozent sollen es noch 0,5 Prozent des BIP sein. Derzeit erlaubt das Grundgesetz dem Bund nur eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent des BIP.
Die Maastricht-Regeln sehen für jedes Euro-Land eine jährliche Nettoneuverschuldung von maximal drei Prozent des BIP vor, was sich aus dem Inflationsziel der Europäischen Zentralbank von zwei Prozent plus einem erwarteten Produktivitätszuwachs von einem Prozent ergibt.
Kein Geld aus Frankfurt für BerlinZu konkreten Quoten oder Zahlen in dem angekündigten Vorschlag äußerte sich Nagel nicht, auch nicht dazu, was die größere „strukturelle Komponente“ in dem Vorschlag bedeuten werde. Er kündigte jedoch an, dass dieser auch mögliche Sondervermögen abdecken werde. Um die Schuldenbremse zu umgehen, hatte die „Ampel“-Regierung mit Unterstützung von CDU/CSU einen 100 Mrd. Euro großen Sondertopf für die Bundeswehr im Grundgesetz verankert.
Angesichts der anhaltenden Aufrüstung Russlands wird dies als nicht mehr ausreichend erachtet, um die Landesverteidigung zu finanzieren. „Man wird ein neues Sondervermögen oder eine Änderung der Schuldenbremse benötigen“, sagte im Capital-Interview Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung („Wirtschaftsweise“) und Professorin an der LMU München.
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„Wir befinden uns in einer anderen Umgebung als noch vor 15 Jahren, als die Schuldenbremse quasi das Tageslicht erblickt hat“, sagte Nagel. Dabei würden die „neuen fiskalischen Herausforderungen“ berücksichtigt. Zugleich werde der Vorschlag den europäischen Regeln Rechnung tragen und sei stabilitätspolitisch ausgerichtet. Unter Stabilitätspolitik wird eine zurückhaltende staatliche Ausgabenpolitik verstanden, um Inflationsgefahren zu vermeiden. Zugleich forderte Nagel, den Bundeshaushalt nach Einsparmöglichkeiten jenseits von Investitionen zu durchforsten. „Die Politik muss sich die konsumtiven Ausgaben anschauen.“
19 Mrd. Euro JahresverlustWährend sich also die neue Regierung Hoffnung machen kann, von der stets stabilitätspolitisch ausgerichteten Bundesbank Unterstützung für mehr Verschuldung zu bekommen, wird sie auf Jahre hinaus nicht mit Gewinnausschüttungen aus Frankfurt rechnen können. Der Grund: Als Folge der Zinswende in der Eurozone haben die nationalen Notenbanken wie auch die EZB hohe Bilanzverluste erlitten. Die von ihnen in großem Stil aufgekauften Anleihen zahlen weniger Zinsen, als die Geschäftsbanken für Einlagen erhalten haben. Während die Bundesbank im vergangenen Jahr auf ihre im Zuge der Quantitativen Lockerung gekauften Anleihen Zinsen von durchschnittlich 0,54 Prozent erhielt, zahlte sie auf Einlagen von Geschäftsbanken 3,81 Prozent Zinsen.
Die Folge: Ein Bilanzverlust der Bundesbank in Höhe von 19,8 Mrd. Euro im Jahr 2024, der nach Auflösung von Rücklagen 19,2 Mrd. Euro betrug. „Der Bilanzverlust wird noch einige Jahre anwachsen“, sagte Nagel. Profiteur der hohen Verluste sind die Geschäftsbanken und die Sparkunden von Anbietern mit sehr hohen Einlagezinsen.
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„Die Bundesbank kann entstandene und entstehende Verluste verkraften mit ihrem Netto-Eigenkapital von 251 Mrd. Euro“, betonte Vizepräsidentin Sabine Mauderer. Als Stabilisator der Bilanz erweist sich zudem der Goldbestand der Bundesbank, der ihr zufolge eine Bewertungsreserve von 263 Mrd. Euro hat. Das heißt: Das Bundesbank-Gold ist derzeit zu Marktpreisen 263 Mrd. Euro mehr wert als in der Bilanz stehen.
Durch eine bilanztechnische Aufwertung könnte die Bundesbank also ihre Verluste ausgleichen oder sogar Buchgewinne erzielen. Entsprechende Avancen gab es in der Vergangenheit immer wieder seitens der Politik, diesen Posten aufzulösen. Die Bundesbank hat dies immer wieder zurückgewiesen und auf ihre Unabhängigkeit gepocht.
capital.de