Währungshüter: Die Bundesbank wird noch jahrelang Verluste schreiben

Wenn es eine Institution gibt, mit der Menschen die gern beschworenen „guten alten Zeiten“ in Deutschland verbinden, dann ist es wohl die Bundesbank. Schlechte Nachrichten gab es selten von den Währungshütern. Doch nun muss die Bundesbank für 2024 einen zweistelligen Milliardenverlust bilanzieren. Das Minus beträgt 19,2 Milliarden Euro. Auch für die nächsten Jahre werden rote Zahlen erwartet, wenn auch weniger tiefrot als jetzt. „Der Höhepunkt der jährlichen Belastungen dürfte überschritten sein“, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel am Dienstag bei der Vorstellung des Jahresabschlusses.
Der letzte Bilanzverlust der Währungshüter geht zurück ins Jahr 1979, damals mussten Dollarreserven neu bewertet werden. Nun lag es an der toxischen Melange aus lockerer Geldpolitik und Anleihekäufen während der Jahre, in denen Mario Draghi EZB-Präsident war. Dazu kam der rapide Leitzinsanstieg von 2022 bis Anfang 2024. Bereits im vergangenen Jahr hatte die Bundesbank deshalb mit 21,6 Milliarden Euro den höchsten Verlust ihrer Geschichte gemeldet, doch ließ sich dieser Fehlbetrag noch durch die Auflösung von Verlustreserven auffangen. Für die Bundesbank war und ist das der zu leistende Preis für die „richtige Geldpolitik“, wie Nagel sagte.
Nagel will Reform der SchuldenbremseDer Bundesbankpräsident macht nach den Bundestagswahlen vom Sonntag Druck für eine schnelle Koalitionsbildung. „Deutschland braucht so schnell wie möglich eine effektive Regierung.“ Ein nennenswerter wirtschaftlicher Aufschwung sei nicht in Sicht. „Auch ein drittes Jahr ohne Aufschwung ist nicht auszuschließen“, so der Bundesbankpräsident. Deutschlands Wirtschaft steckt seit zwei Jahren in einer Rezession und diskutiert derzeit, wie die notwendigen Investitionen bezahlt werden können. Im Gespräch ist auch eine Reform der Schuldenbremse. Die Bundesbank will Anfang März einen Reformvorschlag präsentieren. „Wir möchten darin das Stabilitätsinstrument verankern, aber auch mehr Spielraum schaffen für mögliche Zukunftsinvestitionen, etwa im Verteidigungsbereich“, sagte Nagel. „Wir befinden uns in einer anderen Umgebung als vor 15 Jahren, als die Schuldenbremse das Tageslicht erblickt hat“, so der Bundesbankchef. Er sehe es als Pflicht der Bundesbank an, diesen Vorschlag zu machen und fordert von der Politik, dass dieser „aufmerksam gelesen“ werde.
Dass sich die Währungshüter dergestalt in die Politik einmischen, ist selten – und unterstreicht den Ernst der Lage, in der Deutschland sich befindet. Die Bundesbank soll politisch unabhängig sein, um sich auf ihre Kernaufgabe, die Inflationsbekämpfung, zu konzentrieren. Doch Nagel möchte wohl nichts unversucht lassen, um die Notenbankkompetenz ins Parlament zu hieven: „Es ist fünf vor Zwölf“, sagte er. Dabei glaubt Nagel, dass Deutschland die Aufgaben über den nationalen Haushalt finanzieren können wird, eine Vergemeinschaftung der Verschuldung auf EU-Ebene hält er nicht für nötig.
Milliardenverluste auch in den nächsten JahrenAuch in den nächsten Jahren wird die Bundesbank weitere Milliardenverluste anhäufen. Das ist aber eher auf Pech, denn auf schlechtes Management zurückzuführen. Die EZB hob angesichts der steigenden Inflationsraten ab Juli 2022 die Leitzinsen von null auf vier Prozent. Vier Prozent, die die Notenbank den Geschäftsbanken bezahlen musste, und zwar auf deren Überschussreserven, die seit der Euroschuldenkrise auf Girokonten der Notenbank liegen.
Rückblick: Unter Führung des damaligen EZB-Präsidenten Mario Draghi startete das Euro-System 2015 ein billionenschweres Anleihekaufprogramm zur Stabilisierung des Bankensystems. Die Bundesbank kaufte dabei deutsche Staatsanleihen von den großen Geschäftsbanken und schrieb den Banken den Kaufpreis auf deren Girokonten bei der Notenbank gut. Für dieses Geld bekommen die Banken Erträge auf Leitzinsniveau. Das ist mittlerweile zwar wieder auf 2,75 Prozent gesunken, die fälligen Zinszahlungen sind immer noch höher als die Erträge, die die Bank durch Staatsanleihekäufe erwirtschaftet.
Damit steht fest, dass auch die nächste Bundesregierung kein Geld von der Bundesbank erwarten kann, selbst wenn wieder demnächst Profit erwirtschaftet wird. Denn mit diesen etwaigen Überschüssen möchte man den bis dahin angelaufenen Milliardenverlust peu à peu abbauen. „Gewinnausschüttungen an den Bund stehen für lange Zeit nicht im Raum“, sagte Nagel.
Abgesehen von den aktuellen Verlusten habe Bundesbank allerdings eine solide Bilanz, da es beim Goldbestand Bewertungsreserven in Höhe von 267 Milliarden Euro gebe. Dieser Betrag liege um ein Vielfaches höher als der aktuelle und die zu erwartenden Bilanzverluste. Historisch konnte das Bundesfinanzministerium im Schnitt einen jährlichen Bundesbankgewinn in Höhe von 2,5 Milliarden Euro einplanen, im Jahr 2019 waren es sogar 5,9 Milliarden Euro. Das war die bislang letzte Ausschüttung, denn die Gewinne der Folgejahre wurden bereits als Verlustpuffer zurückgelegt.
süeddeutsche