Weight-Watchers-Pleite: Ausgezählt

Seit vier Jahrzehnten können die Amerikaner Oprah Winfrey dabei zusehen, wie sie mit ihrem Gewicht kämpft. Lange Zeit schwor die Moderatorin und Geschäftsfrau beim Abnehmen auf das Programm von Weight Watchers. Jedes Lebensmittel bekommt einen Punktewert.Die Teilnehmerinnen dürfen alles essen, solange sie die individuell festgelegte Punktezahl pro Tag nicht überschreiten. Dank des Punkte-Zählens könne sie noch immer jeden Tag Brot essen, jubelte Winfrey einmal in einem Werbespot der Firma. Ihre Begeisterung war so groß, dass sie 2015 in den Aufsichtsrat von Weight Watchers einzog und zehn Prozent der Aktien des Unternehmens erwarb.
Seit einem Jahr ist Winfrey weg aus der Weight-Watchers-Welt. Im Februar 2024 gab sie ihren Sitz im Aufsichtsrat auf und trennte sich von ihren Aktien. Den Erlös spendete sie an ein Museum. Gemessen an der Größe von Winfreys Aktienpaket kam dabei eine vergleichsweise kleine Summe zusammen. Denn schon damals hatte das Papier stark an Wert verloren. Seit Jahresbeginn ist es sogar nur noch ein Penny-Stock, aktueller Kurs: 37 Cent. Hinzu kommen fast zwei Milliarden Dollar Schulden.

Schon seit Monaten hatten US-Medien deshalb über eine baldige Pleite von Weight Watchers spekuliert. Nun ist es so gekommen: Vergangene Woche beantragte Weight Watchers Insolvenz. Mithilfe einer „Transaktion zur finanziellen Reorganisation“, wie das Unternehmen mitteilte, will Weight Watchers einen Großteil seiner Schulden loswerden. In den Worten von Vorstandschefin Tara Comonte klingt das zwar weniger dramatisch. Die Insolvenz „gibt uns die Flexibilität, um Innovationen zu beschleunigen“, erklärte sie. Alle Programme würden wie gewohnt weiterlaufen. Für die mehr als drei Millionen Kunden weltweit werde sich nichts ändern.
Tatsächlich ist die Zukunft von Weight Watchers aber mehr als ungewiss. Der Diät- und Fitnessmarkt hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Nichts revolutionierte ihn so sehr wie der Erfolg von Ozempic und Wegovy, besser bekannt als Abnehmspritzen. Weight Watchers versuchte mitzuhalten.
Sima Sistani, Ex-Vorstandschefin von Weight Watchers, verglich ihr Unternehmen in der Financial Times vor einem Jahr mit Netflix. Der Unterhaltungskonzern habe sich vom DVD-Versender zur Streaming-Plattform gewandelt. Vor einer ähnlichen Transformation stehe auch Weight Watchers. Doch die misslang. Als sich auch noch Oprah Winfrey im vergangenen Jahr als Ozempic-Fan outete, versetzte sie dem Unternehmen wohl den letzten Stoß.

Dabei gehörte Weight Watchers einmal zu den Pionieren seiner Industrie. Jean Nidetch, eine Hausfrau aus New York, hatte mit einer strengen Diät mehr als 30 Kilogramm abgenommen. Daraus entwickelte sie ein Abnehmprogramm, das den Grundstein für das 1963 von ihr gegründete Unternehmen Weight Watchers legte. Und Nidetch wurde darüber zu einer der gar nicht so wenigen amerikanischen Selfmade-Millionärinnen, die den Alltag der Menschen nachhaltiger veränderten als so manch männlicher CEO.
Die Unternehmerin erfand einen Markt, den es zuvor gar nicht gegeben hatte: das Geschäft mit dem Abnehmen. Zwar spiegelte die Gesellschaft Frauen schon damals, dass sie gefälligst dünn zu sein hatten. Aber sie hungerten heimlich. Nidetch änderte das. Sie veranstaltete Abnehmtreffen und erzeugte so eine Gruppendynamik, manche fanden: Gruppendruck. Anfangs diktierte sie ihren Kundinnen eine Liste mit „verbotenen Lebensmitteln“. Später führte Weight Watchers sein Punktesystem ein. 1970 expandierte Weight Watchers auch nach Deutschland.
Bis heute ist der globale Diät- und Fitness-Markt riesig. Jährlicher Umsatz: rund eine Billion Dollar. Das liegt auch daran, dass seine Zielgruppe über die Jahre immer größer wurde. Fast drei von vier Amerikanern sind übergewichtig oder adipös, in Deutschland gilt dies für jeden Zweiten. Die wenigsten Menschen schaffen es, dauerhaft abzunehmen oder mit ihrem Spiegelbild zufrieden zu sein. Für Diätanbieter sind das perfekte Voraussetzungen. Eigentlich.

Weight Watchers konnte davon irgendwann nicht mehr profitieren. Eine neue Generation von Frauen fand, dass Schönheit und Gesundheit keine Frage des Gewichts seien. Influencerinnen lebten vor, dass sich auch Frauen im Fitnessstudio Muskeln antrainieren können. Bei Weight-Watchers war es dagegen lange Zeit üblich, sich vor Beginn jedes Treffens zu wiegen. Das passte nicht mehr zum neuen Zeitgeist von Body Positivity, also die Abkehr von alten Schönheitsidealen und der Akzeptanz aller Körperformen, und gewichtsneutraler Medizin, die nicht das Gewicht in den Mittelpunkt stellt. So verlor Weight Watchers Jahr um Jahr mehr Mitglieder.
Das Unternehmen versuchte so ziemlich alles, seinen Niedergang zu stoppen. Es veranstaltete Kreuzfahrten, in der Hoffnung, dass diese neue Einnahmequellen erschließen würden. Es wechselte mehrmals seine Chefin aus. Es verbannte das Wort Diät aus seinen Programmen, das klang zu sehr nach Verzicht. 2018 nannte sich Weight Watchers sogar in WW International um – nur, um wenig später zum alten Namen zurückzukehren. Am Ende hatte nichts davon nachhaltigen Erfolg. Der Konzern konnte seinen altbackenen Appeal einfach nicht abstreifen.
Und dann kamen auch noch Ozempic, Wegovy und vergleichbare Produkte auf den Markt, die das Hungergefühl mithilfe des Wirkstoffs Semaglutid zügeln. Sie versprachen, dem Abnehmen die Anstrengung zu nehmen, während Weight Watchers trotz aller Imagekorrekturen letztlich noch immer den Verzicht predigte. Die Machtverschiebung lässt sich an der Börse sehen. Der Pharmakonzern Eli Lilly, der Wegovy vertreibt, ist dort heute etwa 23 300-mal so viel Wert wie Weight Watchers.
Ganz aufgeben will Weight Watchers aber noch nicht. Sofern die finanzielle Restrukturierung gelingt, will sich das Unternehmen künftig ebenfalls auf das Geschäft mit der Abnehmspritze konzentrieren. Dazu kaufte es schon 2023 einen Telemedizin-Anbieter. Über ihn können Weight Watchers-Kunden seither an Semaglutid-Präparate gelangen. Das Geschäft wuchs im ersten Quartal 2025 um 57 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Mit Diäten will Weight Watchers nun noch weniger in Verbindung gebracht werden als je zuvor. Der ehemalige Abnehmkonzern nennt sich jetzt offiziell „menschenzentrierter Technologiekonzern“.
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