Die Vermessung der Ozeane: Google Maps für die Meeresböden

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Die Vermessung der Ozeane: Google Maps für die Meeresböden

Die Vermessung der Ozeane: Google Maps für die Meeresböden

Als am 26. September 2022 vier Explosionen den Boden der Ostsee in der Nähe der dänischen Insel Bornholm erschütterten und drei Stränge der Nord-Stream-Pipeline zerfetzten, hielt die Welt für einen Moment den Atem an. Kampfjets der dänischen Luftwaffe stiegen auf, Hubschrauber kreisten über dem Gasleck, 465.000 Tonnen Methan strömten in die Atmosphäre.

Die Bilder des Gassprudels an der Meeresoberfläche gingen um die Welt. Was damals in 80 Meter Tiefe passierte, ist Gegenstand von Spekulationen und Ermittlungen. Der mutmaßliche Anschlag ist bis heute nicht vollständig aufgeklärt.

Der Fall zeigt, wie verwundbar die maritime Infrastruktur ist. Die Meeresböden bilden das Fundament der Weltwirtschaft. Über sie verlaufen Tausende Kilometer Leitungen: Pipelines, Stromtrassen und Internetkabel. Es ist das Nervensystem der digitalen Welt.

Die Lokalisierung der Bruchstellen von Kabeln ist extrem schwierig

Zwei- bis viermal pro Woche reißt irgendwo auf den Ozeanböden ein Seekabel. Mal sind es Haie, die ein Kabel anknabbern. Mal sind es Kupferdiebe in Gestalt vietnamesischer Fischer, die Seekabel kappen. Häufig merkt man das kaum, weil der Strom oder Datenverkehr über andere Unterseekabel geleitet werden kann. Doch zuweilen werden die Kabelbrüche zum Problem. Als im Februar 2024 der Anker eines von jemenitischen Huthi-Rebellen attackierten Frachters ein Unterseekabel im Roten Meer zerstörte, waren große Teile der Kommunikation in der Region gestört. Kundenhotlines waren nicht erreichbar, Mails und SMS kamen nicht mehr an. Bis die Kabel repariert waren, vergingen mehrere Wochen.

Die Reparaturarbeiten sind extrem aufwendig. Schiffe müssen ausrücken, die beschädigten Kabelteile mit ferngesteuerten Tauchrobotern und Tiefseeangeln geborgen und von der Crew an Bord verspleißt werden. Die größte Herausforderung besteht darin, die Bruchstellen zu lokalisieren. Techniker schicken dazu ein Stromsignal durch den Metallmantel des Kabels und messen die elektromagnetischen Felder.

Das Problem: Es gibt auf der Welt gerade mal 22 Reparaturschiffe. Eine alte Flotte von umgerüsteten Schleppern und ausrangierten Fähren muss unter widrigsten Bedingungen die globale Kommunikationsinfrastruktur am Laufen halten. Es sind oft gefährliche Einsätze in schwerer See – die maroden Schiffskutter geraten zuweilen unter Beschuss von Piraten, und sie fahren mangels Georeferenzen häufig auf Sicht. Die Lokalisierung der Bruchstellen gleicht der Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

Die Weltmeere sind die letzte Grenze der Wissenschaft

Es ist schon erstaunlich: Die Erdoberfläche ist nahezu vollständig kartiert. Google fährt mit seinen Street-View-Fahrzeugen bis in die hintersten Winkel von Städten und fotografiert sogar mithilfe von Schafen entlegene Landschaften auf den Färöer-Inseln. Doch die Weltmeere sind Terra incognita – rund 80 Prozent der Ozeanböden sind nicht kartiert. Und das kann fatale Folgen haben: So krachte im Oktober 2021 ein amerikanisches U-Boot in den Gewässern Südchinas auf einen Seeberg – elf Besatzungsmitglieder wurden verletzt. Der Grund: Die Erhebung war nicht in den Seekarten verzeichnet. Ozeanforscher schätzen, dass es in den Weltmeeren mindestens 100.000 Seeberge mit einer Höhe von tausend Metern oder mehr gibt.

Teil des Wracks der „Titanic“, das in 3800 Metern Tiefe langsam zerfällt
Teil des Wracks der „Titanic“, das in 3800 Metern Tiefe langsam zerfälltImago/Atlantic Productions/Magellan

Tief unter der Meeresoberfläche verbirgt sich eine geheimnisvolle, kaum erforschte Welt. Es dauerte 73 Jahre, bis das Wrack der „Titanic“ 1985 nach ihrem Untergang 1912 nahe Neufundland gefunden werden konnte. Der Marianengraben, der mit rund 11.000 Metern unterhalb des Meeresspiegels tiefste Punkt der Erde, wurde erst 1875 von einem englischen Forschungsschiff entdeckt – und damit recht spät, wenn man bedenkt, dass bereits davor detaillierte Karten des Mars erstellt worden waren. Die Weltmeere sind die letzte Grenze der Wissenschaft.

Die Kartierung des Meeresbodens ist schon aufgrund des Mediums Wasser viel schwieriger als die Kartierung von Landflächen. Auf den Meeresböden ist es stockdunkel, Wasser absorbiert und reflektiert Licht, weshalb Vermessungstechniken wie Laser und Radar nur sehr begrenzt funktionieren. Zwar gibt es mittlerweile Vermessungsschiffe, die mithilfe von Sonargeräten topografische Karten der Tiefsee-Ebenen erstellen. Doch die Datensätze sind teils veraltet und fragmentiert – und über diverse Forschungsinstitute verteilt.

Forscher arbeiten an einer Art Google Maps für die Meere

Die Welt braucht aber hochauflösendes Kartenmaterial der Ozeane: für die Navigation der Schifffahrt, aber auch für die Vorhersage von Meeresströmungen, die eine wichtige Einflussgröße in Klimamodellen sind. Forscher versuchen daher, mit neuartigen Messmethoden die Ozeane zu kartografieren. Die Vision: eine Art Google Maps für Weltmeere.

So arbeitet das Kieler Softwaretechnologie-Start-up North.io am Aufbau eines neuen digitalen Kartendienstes. Die Ozeandaten-Plattform „TrueOcean“ bündelt maritime Sensordaten aus verschiedenen Quellen, etwa von Offshore-Windparkentwicklern und Netzbetreibern, und visualisiert sie in Karten. Per Suchfunktion können Betreiber von Datenleitungen oder Reedereien auf Meeresdaten zugreifen.

Mithilfe von KI lassen sich unter anderem auch hochauflösende Strömungsmodelle erstellen, mit denen Schiffsrouten optimiert werden können. So können kleinräumige Wirbel, sogenannte Eddies, umschifft und Treibstoff und CO₂-Emissionen eingespart werden. North.io kooperiert dabei auch mit dem US-Chiphersteller Nvidia. Das Ziel: einen digitalen Zwilling der Ozeane zu erstellen, wo jedes kleinste Pipeline- oder Datenleitungsleck in Echtzeit registriert wird.

Das Geomar Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel und das Projekt „Seabed 2030“ wollen bis 2030 eine frei zugängliche Meeresbodenkarte zur Verfügung stellen – dazu sollen auch „Unterwegs“-Daten von Forschungsschiffen in eine vereinheitlichte Dateninfrastruktur einfließen. Längst haben auch die Superreichen die Meerestiefen für sich entdeckt: So will der texanische Multimilliardär Victor Vescovo, der mit spektakulären Tiefsee-Expeditionen unter anderem zum Marianengraben von sich reden machte, die Ozeanböden kartieren.

Satellit entdeckt Seeberge anhand von Unebenheiten in der Meeresoberfläche

Ein neuer Satellit wiederum soll dabei helfen, den Meeresboden aus dem Weltraum zu kartieren. Er heißt Swot (Surface Water and Ocean Topography) und ist ein Projekt der amerikanischen Raumfahrtbehörde Nasa und der französischen Raumfahrtagentur CNES. Der im Dezember 2022 gestartete Swot-Satellit vermisst den Meeresboden nicht direkt, das wäre auch unmöglich. Er misst die Wasseroberfläche fast auf der gesamten Erde.

Aus den gewonnenen Daten können Forscher Rückschlüsse auf die Struktur des Meeresbodens ziehen. Denn geologische Strukturen übten aufgrund ihrer größeren Masse im Vergleich zu ihrer Umgebung eine etwas stärkere Gravitationskraft aus. Diese erzeuge „kleine, messbare Unebenheiten in der Meeresoberfläche über ihnen“, heißt es in einem Nasa-Bericht.

In der Tiefsee lagern auch wertvolle Manganknollen.
In der Tiefsee lagern auch wertvolle Manganknollen.Ingo Wagner/dpa

Da der Swot-Satellit innerhalb von 21 Tagen etwa 90 Prozent der Erde überfliegt, könne er die winzigen Unterschiede in der Meeresoberflächenhöhe, die durch die darunter liegenden Strukturen verursacht würden, zentimetergenau erfassen, heißt es. Damit entdecke der Satellit auch Tiefseeberge, die eine viel geringere Höhe als tausend Meter besitzen.

Erst jüngst sei auf der Grundlage von Swot-Daten „eine der bisher detailliertesten Karten des Meeresbodens“ entstanden. Die Studie dazu wurde im Dezember 2024 im Fachjournal Science veröffentlicht. Eine Nasa-Animation, zu sehen auf YouTube, lässt zum Beispiel Meeresbodenmerkmale erkennen, die aus Swot-Daten von Regionen vor Mexiko, Südamerika und der Antarktischen Halbinsel abgeleitet wurden – mit einer räumlichen Auflösung von acht Kilometern.

Unterwasserdrohnen können bei Forschung und Konflikten eine Rolle spielen

Ein Blick in die Geschichtsbücher lehrt, dass die Erkundung neuer Terrains meist auch deren Ausbeutung nach sich zog. So war das mit der Neuen Welt. Und genauso könnte es mit den Meeresböden werden. Denn tief in den Sedimentschichten, wo einst die Seefahrer den Höllenschlund vermuteten, lagert ein ungehobener Schatz: Manganknollen mit Metallen wie Nickel, Kupfer und Mangan, die für Smartphones und Elektromotoren benötigt werden. Explorationsunternehmen wie die kanadische Metals Company durchkämmen die Tiefsee-Ebenen mit unbemannten Unterwasserfahrzeugen nach geeigneten Stellen für Tiefseebergbau.

Rüstungskonzerne werkeln derweil an Unterwasserdrohnen, die mit modernsten Sonarsystemen die Meeresböden vermessen können. Unterwasserdrohnen sind billiger als U-Boote und könnten nach Einschätzung von Militärexperten im Konflikt zwischen China und Taiwan eine zentrale Rolle spielen. Die globalen Machtfragen entscheiden sich nicht nur auf dem Land und in der Luft, sondern auch in den Tiefen der Ozeane.

Berliner-zeitung

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