Öl- und Gasunternehmen müssen ab jetzt Kohlendioxid entsorgen – und wehren sich gegen die Auflagen aus der EU

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Öl- und Gasunternehmen müssen ab jetzt Kohlendioxid entsorgen – und wehren sich gegen die Auflagen aus der EU

Öl- und Gasunternehmen müssen ab jetzt Kohlendioxid entsorgen – und wehren sich gegen die Auflagen aus der EU
In Island wird CO2 schon heute im Gestein im Untergrund gespeichert.

Europa hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt. Doch ohne Anlagen zur CO2-Speicherung sind diese Ziele illusorisch. Noch fehlen Anreize für den Bau. Eine Gruppe von 44 Öl- und Gasunternehmen soll nun bis 2030 die benötigten Speicherstätten sicherstellen.

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Brüssel prescht mit dem Entscheid international voran, die fossile Energieindustrie in die Pflicht zu nehmen. Am Freitag veröffentlichte die Behörde eine Liste der Firmen, darunter sind viele bekannte Namen: OMV aus Österreich, Total Energies aus Frankreich und Eni aus Italien. Die Ankündigung ging im trockenen EU-Jargon unter. Aber sie ist der Anfang einer Entwicklung, die hohe gesellschaftspolitische und ökonomische Wellen schlagen wird – und Widerstand provoziert.

Denn die EU verfolgt nun konkret das Ziel, Kohlendioxid entweder im Meeresgrund oder an Land verschwinden zu lassen. Und das, nachdem die dafür benötigten Technologien, um CO2 abzuscheiden, zu transportieren und zu speichern (sogenannte CCS-Technologien), jahrelang von NGO und grün gesinnten Politikern ausgebremst worden sind.

Vielerorts in Europa wird die lokale Bevölkerung nun davon überzeugt werden müssen, dass Kohlendioxid für Generationen im Untergrund gelagert wird. Schon jetzt warnen Beobachter davor, dass sich einzelne Regionen dagegen sperren könnten, Speicherstätten an Land bereitzustellen. Vage Sicherheitsbedenken könnten derweil die gesellschaftliche Akzeptanz belasten.

Kohlendioxid ist ein Abfallprodukt der Industrie. Es muss entsorgt werden, damit europäische Regierungen ihr Klimaziel der Netto-Null-Emissionen bis 2050 erreichen. Der politische Fokus liegt dabei auf der Schwer- und der Müllindustrie. Stahl-, Zement- oder Klärschlammverbrennungsanlagen werden ihre Emissionen nicht gänzlich reduzieren und auf grüne Alternativen umsteigen können.

In Brüssel, in Berlin und in Bern wurden in den vergangenen Jahren aus diesem Grund Strategien veröffentlicht, um CO2 in den betroffenen Industrieanlagen und Fabriken abzuscheiden, quer durch Europa zu transportieren und tief im Untergrund zu lagern.

In Deutschland hatten grüne Politiker und NGO davor lange gegen die CCS-Technologien gewettert. Sie waren besorgt, dass sie die Öl-, Gas- und Kohleunternehmen am Leben erhalten würden – und so den Druck aus der Energiewende nehmen. Vergangenes Jahr aber gab es unter dem damaligen grünen Wirtschaftsminister Robert Habeck einen Richtungswechsel. Die Technologien sollen in Deutschland ermöglicht werden, «sonst sind die Klimaschutzziele nicht zu erreichen», stellte Habeck mit Verweis auf Schwerindustrie und die Abfallwirtschaft fest.

Deutschland wird laut einer eigens dafür entwickelten Strategie die Offshore-Speicherung von CO erlauben. Damit würde man zu anderen Nordsee-Anrainerstaaten anschliessen, sagte Habeck. Norwegen, Grossbritannien und Dänemark haben schon begonnen, diesen neuen Wirtschaftszweig im Meer zu eröffnen. Einzelne Bundesländer können darüber hinaus auch entscheiden, eine Speicherung von CO an Land zuzulassen.

Die EU fordert konkret von der Öl- und Gasindustrie, dass sie bis 2030 jährlich 50 Millionen Tonnen Kohlendioxid dauerhaft speichern könne. Bis 2040 müsste die EU mindestens 250 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr lagern können, um ihre Klimaziele zu erreichen. Brüssel überträgt damit einer Branche, die grosse Mengen an Treibhausgasemissionen ausstösst, die Verantwortung dafür, CO2 zu entsorgen.

Kohlendioxid wird in Island mit Wasser vermischt und dann in den Meeresboden gepresst.

Das fordern Forscher und Aktivisten seit Jahren, entsprechend wohlwollend fielen deren Reaktionen aus. «Bislang haben die Öl- und Gasproduzenten oft auf zukünftige CCS-Projekte verwiesen, um die Zukunft ihres Geschäftsmodells zu rechtfertigen – Erfolge bei der Umsetzung blieben aber begrenzt», sagt Felix Schenuit von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Jetzt seien sie gefordert, ihren Ankündigungen Taten folgen zu lassen. Die betroffenen Unternehmen hielten sich derweil öffentlich zurück, auch von den grossen Industrieverbänden der Öl- und Gasindustrie gab es keine Mitteilungen.

Brüssel sagt, die Industrie werde von «schnelleren Genehmigungsverfahren und solider finanzieller Unterstützung» profitieren. Zusammen mit dem technischen Know-how der Energiebranche «können wir erhebliche Fortschritte bei der industriellen Dekarbonisierung und Modernisierung in Europa erzielen», so Kurt Vandenberghe. Als Generaldirektor ist er in der EU-Kommission für die Klimapolitik zuständig.

Unternehmen sind skeptisch

Die Firmen sind davon nicht überzeugt. Sie sagen, dass die Ziele wohl kaum erreicht würden. Der Grund? Der Aufbau einer CCS-Industrie sei teuer, Investoren benötigten finanzielle Anreize und regulatorische Sicherheit, um Anlagerisiken zu minimieren. Das lässt sich in den Stellungnahmen nachlesen, welche die Firmen im Rahmen einer offiziellen Konsultation eingereicht haben.

Mit den gegenwärtigen Marktbedingungen in der EU sei es für Unternehmen sehr schwierig, die benötigten Bauprojekte zu entwickeln, sagt beispielsweise das französische Unternehmen Total Energies und zählt einige Faktoren auf, die Investitionen zurückhalten.

Es mangele in der EU an den wirtschaftlichen Anreizen, insbesondere im Vergleich zu Ländern wie Grossbritannien und Norwegen. Dort investieren die Regierungen viel politisches und finanzielles Kapital, um Projekte zu fördern. Das französische Energieunternehmen ist in Norwegen an Northern Lights beteiligt, Europas erstem grossem CCS-Projekt. Zudem gebe es Risiken innerhalb der Lieferkette und ungeklärte Haftungsfragen.

Die Zahlen gehen nicht auf

Die Folge? Anstatt der geforderten 50 Millionen Tonnen pro Jahr werde bis 2030 wohl nur etwa die Hälfte erreicht werden, schätzt Total und zählt verschiedene Gründe auf. Projekte, die vor drei Jahren angedacht worden seien, seien verspätet. Zudem habe es bisher nur wenige endgültige Investitionsentscheidungen gegeben, um CO2 zu speichern und zu transportieren. Insgesamt käme man damit auf rund 3 Millionen Tonnen pro Jahr. Ebenfalls müsse man den Zeitaufwand bedenken. Nachdem sich ein Unternehmen für eine Investitionen entschieden habe, dauere es üblicherweise drei bis vier Jahre, bis die erste Tonne CO2 versenkt werden könne.

Das Unternehmen treibt «trotz dem schwierigen Umfeld» seine CCS-Projekte weiter voran. In Norwegen zielt es mit dem «Northern Lights»-Projekt, zusammen mit dem staatlichen Energieproduzenten Equinor und Shell, darauf ab, ausländischen Unternehmen einen Lagerplatz am Meeresboden zu verkaufen. Die Anlage ist eins von nur zwei Infrastrukturprojekten, die laut Angaben von NGO zurzeit in Europa im Bau sind. Bis 2030 plant Total europaweit Speicherkapazitäten von mehr als 10 Millionen Tonnen, um das CO2 seiner eigenen Anlagen und das CO2 seiner Kunden zu entsorgen.

Auch in Dänemark kollidieren die Brüsseler Pläne mit der Realität. Dabei gilt das skandinavische Land neben Norwegen als einer der Pioniere, die schon heute in das Geschäft mit der Speicherung von Kohlendioxid investieren. So sollen die stillgelegten Erdöl- und Gasfelder in der Nordsee eine neue Einkommensquelle eröffnen. Dänemark plant, die lokale – und schrumpfende – Öl- und Gasproduktion bis 2050 komplett einzustellen.

Das Land habe zwar den Ruf des CCS-Vorreiters, aber man sei unsicher, ob die geplante Speicherkapazität im Rahmen des «Greensand»-Projekts bis 2030 zu erreichen sei, schrieb der Industrieverband der dänischen Öl-, Gas- und CCS-Unternehmen. «Greensand» ist neben «Northern Lights» in Norwegen und «Porthos» in den Niederlanden das dritte konkrete CCS-Vorhaben in Europa.

Der Grund? Noch fehlen die Investitionen. Das habe jedoch nichts mit den Unternehmen selbst zu tun, hiess es mit Nachdruck. Im Gegenteil: Die EU und die Politik seien schuld! Unter anderem dauerten die Genehmigungsprozesse zu lange.

«Der Nutzen für europäische Bürger und Unternehmen wird begrenzt sein, wenn bis 2030 kostspielige CO2-Speicherstätten errichtet werden und diese keine Abnehmer unter den europäischen Emittenten finden», so die nüchterne Schlussfolgerung der Unternehmen. Politiker müssten dafür sorgen, dass bis 2030 eine vollständige CCS-Wertschöpfungskette etabliert sei.

Die Chemieindustrie verursacht viele Emissionen. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

Das bedeutet unter anderem ein europaweites Netzwerk aus Pipelines, Schienen und Lkw-Strecken, um CO2 von den Verschmutzern zu den Lagerstätten zu transportieren. Laut Hochrechnungen der Europäischen Kommission könnte sich ein solches Transportnetz bis 2040 über mehr als 19 000 Kilometer erstrecken und rund 16 Milliarden Euro kosten. Eine CCS-Wertschöpfungskette erfordert zudem europaweite Regeln, Standards und regulative Anreize in den einzelnen Ländern.

Das fordern nicht nur die Unternehmen, sondern auch NGO. Dazu gehört unter anderem die amerikanische Organisation Clean Air Taskforce (CATF) und die norwegische Organisation Bellona. Seit Jahren setzen sie sich dafür ein, die notwendige CCS-Infrastruktur zu fördern. Damit unterscheiden sich die Gruppen auch von traditionellen Umwelt-NGO wie Greenpeace, die weiterhin skeptisch gegenüber dem Vorstoss sind. Sie kritisieren, dass die CSS-Technologie bloss von den benötigten Emissionsreduktionen ablenke, und bezeichnen die EU-Ziele als Wunschdenken.

Für Codie Rossi von CATF ist die Entscheidung aus Brüssel dagegen der «erste echte Schritt, um die Produzenten fossiler Brennstoffe für die Bereitstellung von CO-Speicherung zur Verantwortung zu ziehen». Jetzt aber beginne der schwierige Teil: sicherzustellen, dass die Unternehmen glaubwürdige Pläne vorlegen und die Regierungen die Umsetzung auch wirklich unterstützen.

nzz.ch

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