Die Kunst der strategischen Entscheidungsfindung

Im 5. Jahrhundert v. Chr. schrieb der chinesische General Sun Tzu „Die Kunst des Krieges“, um zukünftige Strategen zu unterweisen. Diese Lektionen machten den Autor zu einem der besten Denker und Strategie-Umsetzer der Geschichte. Sein Buch enthält eine Reihe von Ratschlägen und Überlegungen, unterteilt nach Fähigkeiten, die ein General, ein Stratege und ein Entscheidungsträger beherrschen muss, um siegreich zu sein (es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Sun Tzu nie eine Schlacht verloren hat).

Obwohl wir rund 2.500 Jahre nach Sun Tzus Tod leben und Informationen leichter zugänglich sind, gelten viele Lehren aus „Die Kunst des Krieges“ – in unterschiedlichen Abwandlungen – auch heute noch. In zwei Bereichen scheint sich das Paradigma in den letzten Jahrzehnten jedoch gewandelt zu haben: im Zeitverständnis und in den Gesprächspartnern in strategischen Diskussionen.

Erstens hat sich das Zeitverständnis bei strategischen Entscheidungen drastisch verändert. Die kurzfristige Perspektive ist sehr kurz, ja sogar unmittelbar geworden, während die mittel- und langfristige Perspektive zu etwas verschmolzen sind, das der „alten“ mittelfristigen Perspektive viel näher kommt. Die zunehmende Menge an zugänglichen Informationen und die Geschwindigkeit, mit der diese verarbeitet werden können, haben dazu geführt, dass Institutionen strategische Ziele in einem Zeitrahmen von Monaten, Wochen und sogar Tagen betrachten, was im letzten Jahrtausend undenkbar war.

Das Überangebot an verfügbaren Informationen kann jedoch zu einer gewissen Lähmung führen, da die Auswahl der besten Quelle nicht gelingt. Vor allem besteht aber die Gefahr, den langfristigen Sinn und die strategische Vision zu verlieren, die die Entscheidungsfindung in Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen leitet und deren Vernachlässigung aufgrund der hohen Instabilität, die durch das Schwanken zwischen kleinen Erfolgen und Misserfolgen auf kurze Sicht entsteht, zum Zusammenbruch führt. Wie Sun Tzu sagte : „Jeder Mensch kann die (kurzfristige) Taktik erkennen , mit der ich siege, aber niemand kann die (langfristige) Strategie erkennen , mit der der Sieg errungen wurde.“

Zweitens hat die Einführung von Modellen der künstlichen Intelligenz (KI) dazu geführt, dass Entscheidungsträger und strategische Denker einen neuen Gesprächspartner einführen – einen Berater, der in Sekundenschnelle jahrhundertealte Erfahrungen ansammeln kann. Doch anstatt vor den Risiken der manchmal verzerrten Informationsquellen oder dem embryonalen Zustand dieser Modelle und dem daraus resultierenden Mangel an Langzeiterfahrung zu warnen, möchte ich lieber betonen, dass die Argumentation und Annahmen jedes guten Entscheidungsträgers, der KI einsetzt, wirklich auf die Probe gestellt werden und er daher sein strategisches Denken verfeinern muss, bevor er es mit anderen Entscheidungsträgern bespricht.

Darin liegt einer der großen Vorteile der technologischen Entwicklungen: Sie zwingen Entscheidungsträger, über ihre Probleme nachzudenken und sie klar darzustellen, sodass Modelle eine zufriedenstellende Antwort liefern können.

„Denken Sie nach und überlegen Sie, bevor Sie eine Entscheidung treffen“ ist eine weitere Lehre von Sun Tzu, die mithilfe der KI selbst den einsamsten Entscheidungsträgern zugänglich wird.

Kurz gesagt: Die Entwicklung der Kunst der strategischen Entscheidungsfindung hat eine Reihe neuer Herausforderungen für Entscheidungsträger geschaffen. Diese verfügen einerseits über wertvolle technologische Partner, müssen andererseits aber sorgfältig prüfen, ob der Druck, unmittelbare Ergebnisse zu erzielen, die Vision und Nachhaltigkeit von Unternehmen und Institutionen nicht gefährdet. Erinnern wir uns noch einmal daran, dass Sun Tzu vor 2.500 Jahren und nicht vor sechs Monaten lebte und dass seine Lehren auch zweieinhalb Jahrtausende später noch wertvoll sind.