Der Musiker Jan Delay im Porträt: Ein Porträt in der ARD

Anfang der Neunziger existierten ein paar scheinbar unumstößliche Gewissheiten: Statt der versprochenen blühenden Landschaften brannten Flüchtlingsheime in deindustrialisierten Zonen. Die schweigende Mehrheit protestierte mit leuchtenden Lichterketten und wenig Widerstand. Und der singenden Minderheit fehlten schon deshalb die richtigen Worte, weil der Sprechgesang auf Englisch erfolgte. Daran konnten und wollten auch die unpolitischen Mittelstandskinder aus Stuttgart namens Die Fantastischen Vier nichts ändern.
Ganz im Gegensatz zu vier hochpolitischen Mittelstandskindern aus Hamburg, deren Band Absolute Beginner sich unter dem Radar der Aufmerksamkeitsindustrie durch Kellerclubs rappte. Eines der vier Bandmitglieder hieß Jan Philipp Eißfeldt. Und falls es da nicht sofort klingelt: Der Künstlername des jungen Musikers lautet heute Jan Delay - ein Superstar des klassenlosen Partypops.
„Eine komplexe, komplizierte, fröhliche, coole Socke“, nennt ihn Regisseur Fatih Akin. „Große Persönlichkeit“, urteilt Komiker Oli Dittrich. „Oft kopiert, nie erreicht“, sekundiert Sänger Udo Lindenberg. „Ikone“, schwärmt Moderatorin Nikeata Thompson. Wenn sich so viel Showexpertise gleich zu Beginn eines ARD-Porträts ballt, muss irgendwas dran sein am Porträtierten. Wie viel genau, fasst Regisseur Eric Friedler, Spürhund kulturhistorischer Schätze, mit Kameramann Florian Kaiser brillant zusammen.
„Forever Jan“ heißen die drei halbstündigen Lebensabschnitte im genreüblichen Wortspielmodus. Pfiffige Albumtitel à la „Mercedes Dance“ oder „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ bringen die Karriere der geborenen Rampensau allerdings nicht halb so gut zur Geltung wie der Untertitel von Friedlers drittem Kapital: „Radikalentertainer mit Haltung“.
Delay wächst im Hamburger Stadtteil Eppendorf auf. Heute ist das besenreines Gründerzeitquartier für Wirtschaftsanwälte aufwärts, Ende der Siebzigerjahre räudiges Szeneviertel. Geprägt vom verrauchten Jazzklub Onkel Pö - wo seinerzeit Udo Lindenberg und Oli Dittrich gastierten - wohnt der kleine Jan im besetzten Altbau. Vater Filmemacher, Mutter Künstlerin, beide aktivistisch: Das kultivierte Paar erzieht den Sohn mit viel Musik und Politik zum „Young Soul Rebel“.
Ganz ähnlich wird zwei Jahrzehnte später sein erstes Soloalbum heißen. Fatih Akin, wie Eißfeldts Eltern ehedem Student an der Hochschule für Bildende Kunst, beschreibt den Künstler dahinter als eine „Mischung aus Dean Martin, Prince, Justin Timberlake und Beasty Boys“. Vor allem letztere.
Warum diese Mischung im Namen der Auftaktepisode „Hippiekind“ heißt, bleibt ARD-Geheimnis. Aber das „Goes Rap“ danach machen grobkörnige Bilder aus dessen Privatarchiv deutlich. Von der Anti-Akw-Demo 1981 an Papas Hand bis zum Hip-Hop-Kollektiv Absolute Beginner zehn Jahre später könnte Jan Delays Werdegang kaum geradliniger verlaufen. Das gilt ebenso für dessen Leistungsbilanz. Dabei hatten Eizi Eiz, Platin Martin, DJ Mad und Denyo Erfolg lange Zeit gar nicht eingepreist.
Bis zum Charteinstieg 1998 rappt der künftige Perfektionist im linksalternativen Kuddelmuddel meinungsstarker, aber brotloser Kunst entfesselter Kleinbühnenkonzerte und zeigt damit eindrücklich, dass populäre Musik einfach so passieren kann. Nicht alles muss betriebswirtschaftlich durchkalkuliert werden. Bier statt Gage, Kiffen aus Prinzip, Gemeinschaft als Antrieb: „Weil niemand Geld damit verdienen wollte“, erzählt Jan Delay, „war es die absolute Energie.“
Die Energie bahnte sich so konstant den Weg übers verhasste Majorlabel (Motor Music) Richtung MTViva, bis die Hamburger Schule des ironisch-verspielten Hip-Hop (Fettes Brot) verblasste. Kurz tauchte sie zwar als achtsamer Gegenwurf zum misogynen Auspuffrohr-Rap von Aggro Berlin wieder auf. Im neuen Jahrtausend aber versanken auch die Beginner im Mainstream der Fantastischen Vier.
Dann aber bat kein Geringerer als Herbert Grönemeyer Jan Eißfeldt um ein Stück für seinen Sampler „Pop 2000“. Als er eine Reggea-Version von Nenas „Irgendwie, irgendwo, irgendwann“ beisteuert, beginnt die Metamorphose des unkommerziellen Rappers zum deutschen Robbie Williams. An dieser Stelle könnte der Dreiteiler „Forever Jan“ den bedauerlichen Weg der ähnlich famosen „Viva-Story“ einschlagen. Vor anderthalb Jahren hatte das Erste darin Aufstieg, Triumph und Absturz jenes Musikkanals beschrieben, der auch den hiesigen Hip-Hop groß machen half.
Für Jan Delay, wie sich Jan Eißfeld fortan nennt, ist der Schritt vom Underground ins Rampenlicht allerdings eine Frischzellenkur. Mit seiner Bigband Disko No. 1 hortet er nicht nur goldene Schallplatten. Ihm gelingt auch, was sein lebenslanger Wegbegleiter Klaas Heufer-Umlauf skizziert: Nichts sei schwieriger, „als Mainstream zu machen und sich trotzdem treu zu bleiben“. Jan Delay grast alles ab von Reggae über Funk & Soul bis Rock, was den Massen gefällt und damit jedes Stadion füllt.
Aber auch wenn die Texte allenfalls zwischen den Zeilen mal Rassismus, Rechtsruck, Männlichkeitswahn anprangern wie einst die Beginner, tut er das mit solider Haltung. Es ist eher eine Charakter- als Kompositionsfrage, was Kreative ihrem Publikum vermitteln.
„Weggucken geht nicht, stummschalten auch nicht“, umschreibt Delay sein Credo. „Genauso, wie ich mir schon immer Sorgen gemacht hab‘, hab‘ ich auch immer mein Maul aufgemacht.“ Vor elf Jahren sogar so weit, dass ihm ein Nazi-Vorwurf gegen Heino eine Unterlassungsklage plus veritablen Shitstorm von rechts eingebrockt hatte.
Weil er als Hauptact des 25. Geburtstags der besetzten Hamburger Autonomen-Trutzburg Rote Flora seine Nike-Schuhe feierte, gab es auch von links einen Shitstorm (allerdings ohne Unterlassungsklage). Jan Delay polarisiert. Er tut es mit Hingabe. Und so erzählt Regisseur Friedler nebenbei auch die Geschichte eines Gemeinwesens, das zusehends gereizter, rigoroser, identitätspolitischer wird, in dem aber gerade deshalb etwas an Bedeutung gewinnt, das in der Selbstoptimierungsgesellschaft unter die Räder zu kommen droht: Authentizität.
Von diesem Rohstoff schürft kaum jemand mehr als Jan Philipp Eißfeldt alias Eizi Eiz alias Jan Delay – auch wenn er auf Solopfaden stets in Gefahr einer Überdosis vom süßen Gift des Erfolgs plus Kommerz und Applaus gerät.
Der Zehnjährige wird in einem Film seiner Eltern nach drei Wünschen gefragt. Er antwortet: „Dass ich gesund bleibe. Dass ich bleibe, wie ich bin. Und dass ich noch drei Wünsche freihätte“. Wer sich seine Laufbahn in der Doku ansieht, könnte meinen: Alle drei Wünsche wurden erfüllt.
Als sich die Beginner zwischen zwei Nummer-1-Alben von Jan Delay vor neun Jahren wiedervereinigten, schoss „Advanced Chemistry“ sofort an die Spitze und lieferte mit „Ahnma“ ein ikonisches Werk konsenstauglicher Subkultur, wie es zurzeit wohl nur dieser Radikalentertainer mit Haltung hinkriegt.
Was auch immer Delay anpackt, es wird zu Gold. Kein Wunder, dass nur ein negatives Wort über ihn fällt. Bjarne Mädel nennt ihn Verräter, weil er als Hamburger Bremens Stadionhymne singt. Na, denn.
„Forever Jan“, 3x30 Minuten, ab 21. Mai in der ARD-Mediathek, ab 24. Mai im Ersten und am 30. Mai im SWR
rnd