VIDEO - Daten-Experiment: Klingt so der perfekte ESC-Song?

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VIDEO - Daten-Experiment: Klingt so der perfekte ESC-Song?

VIDEO - Daten-Experiment: Klingt so der perfekte ESC-Song?

Bald 70 Jahre gibt es den Eurovision Song Contest schon. In dieser Zeit hat der ESC ein paar echte Hits hervorgebracht. Und ein paar unerwartete Gewinner. Aber was braucht ein Song, um zu gewinnen?

In diesem Video schauen wir uns Daten und Studien an und versuchen, den statistisch perfekten ESC-Song zu produzieren. Und wir wollen wissen, was ein echter ESC-Profi von unserem Song hält. Wir wollen herausfinden: Gibt es die ultimative ESC-Erfolgsformel?

Starten wir mit der Frage: Wie schnell muss ein Song sein, um beim ESC gute Chancen zu haben? Um das herauszufinden, analysieren wir alle ESC-Songs, die es seit 2009 ins Finale geschafft haben. Diesen Zeitraum wählen wir, weil 2009 das Bewertungssystem angepasst wurde. Seither zählen die Meinung der Jury und die der Zuschauer je zur Hälfte. Sortiert man diese 388 Songs nach Tempo und Rang, sieht man: Das Tempo hat kaum einen Einfluss darauf, wie ein Song abschneidet. Es gibt schnelle Songs, die gut abschneiden, wie der finnische Beitrag von 2023. Der hat es am Schluss auf den zweiten Platz geschafft. Aber auch langsame Songs, die erfolgreich sind. Wie dieser Beitrag aus Österreich, der es auf Platz 3 geschafft hat. Das Tempo allein scheint also nicht so entscheidend zu sein.

Probieren wir stattdessen, die Songs nach ihrem Stil zu sortieren. Wir haben uns alle Beiträge angeschaut, die es seit 2009 in die Top 5 geschafft haben, und haben die Songs in drei Kategorien eingeteilt. Erstens: Mainstream-Pop. Also tanzbare Pop-Musik im 4/4-Takt, mit elektronischem Sound und eingängigem Refrain.

Ein gutes Beispiel dafür ist «Heroes» – der schwedische Gewinner aus dem Jahr 2015. Gerne werden die Beiträge dieser Kategorie auch mit Elementen traditioneller Musik kombiniert – zu einer Art Ethno-Pop. Wie zum Beispiel hier beim ukrainischen Beitrag von 2021.

Dann gibt es die Balladen. Sie fangen ruhig an und enden oft kraftvoll. Viele dieser Songs haben orchestrale Elemente. Zum Beispiel «Rise Like a Phoenix» aus dem Jahr 2014.

Und dann gibt es die Beiträge, die ein bisschen aus dem Rahmen fallen. Songs, die eher unkonventionell sind. Wie zum Beispiel «The Code» von Nemo mit einem Mix aus Pop, Rap, Oper und Drum’n’Bass. Gerade in den letzten Jahren haben es diese unkonventionellen Songs häufiger in die Top 5 geschafft.

Doch insgesamt dominieren die normalen Pop-Beiträge. Sie machen in den Top 5 etwa die Hälfte der Songs aus.

Was ja auch fest zum ESC gehört, sind Spassbeiträge. Also Beiträge, bei denen die Unterhaltung im Vordergrund steht – und weniger die musikalische Qualität. Aber wenn man sich die Daten seit 2009 anschaut, sieht man: Nur ein einziger solcher Spassbeitrag hat es seither in die Top 5 geschafft. Nämlich 2012 die singenden Omas aus Russland.

Was heisst das für unseren eigenen Song? Das Tempo ist nicht so wichtig. Aber mit einer Ballade oder einem unkonventionellen Song haben wir eher schlechte Karten. Und ein Spassbeitrag kommt auch nicht infrage. Am besten wäre ein tanzbarer Song mit elektronischen Sounds.

Also tanzbar und elektronisch, das klingt für mich nach einem Tempo irgendwo zwischen 120 und 130 Beats per Minute. Wir haben uns jetzt hier bei unserem Beispiel für 130 BPM entschieden, weil wir das elektronische Subgenre Garage, also UK Garage genauer gesagt, ein bisschen in unseren Pop-Style-Song einarbeiten wollen. Denn beim ESC findet oft die Einflüsse der aktuellen elektronischen Musik wieder. Also zum Beispiel Techno oder Psytrance oder jetzt in unserem Fall UK Garage.

Also durchaus simpel, aber immer noch tanzbar und es lässt sich sehr gut mit Pop-Elementen verbinden und ist vielleicht auch ein kleiner Faktor, der uns von anderen Songs abheben könnte.

Mit diesem Beat hätten wir also schon mal eine Grundlage für unseren Song. Aber worauf achten ESC-Produzenten wirklich?Einer, der das weiss, ist Benji Alasu. Er ist einer der Songwriter und Produzenten von «The Code». Das ist der Song, mit dem Nemo 2024 den ESC gewonnen hat.

Benji Alasu: «Also ein Satz, der mir mal ein Produzent gesagt hat: J‹a, ESC-Songs, da geht es immer nur um Impacts.› Also die Impacts sind super wichtig, und das ist mir einfach geblieben, und mit Impacts meinte er einfach so die Transitions, dass es dann voll auf die 12 haut und dann wieder weg geht und so Sachen. Das blieb mir sehr im Hinterkopf. Und das habe ich probiert, so mitzunehmen.»

Okay, das versuchen wir für unseren Song auch mitzunehmen. Aber schauen wir uns zuerst einmal an, was die Daten zu Tonarten und Harmonien sagen.

Schaut man sich alle 388 Finalsongs an, sieht man: Der Grossteil ist in einer Dur-Tonart komponiert. Und Dur assoziiert man eher mit Eigenschaften wie «hell» und «fröhlich». Aber: Wenn man nur die Songs anschaut, die es am Schluss in die Top 5 geschafft haben, sieht das ganz anders aus. Da dominiert Moll. Und Moll klingt eher ernst, vielleicht auch etwas traurig.

Eine Tonart sticht dabei besonders häufig heraus: d-Moll. Etwa jeder sechste Song in den Top 5 wurde in d-Moll geschrieben. Zum Beispiel auch die Gewinnersongs «Fairytale» oder «Rise Like a Phoenix».

Und die Daten zeigen noch etwas Überraschendes: Noch bis Mitte der 2010er Jahre hat etwa jeder dritte Beitrag im Finale eine sogenannte Modulation. Also einen plötzlichen Tonartwechsel – meist als grossen, emotionalen Höhepunkt. Aber seit 2016 sind solche Modulationen deutlich seltener geworden. Der dramatische Tonartwechsel, den viele mit dem ESC verbinden, ist also ziemlich aus der Mode gekommen. Der letzte ESC-Sieg mit Modulation liegt schon mehr als zehn Jahre zurück.

Deshalb ist der Fall für unseren Song klar: Rein statistisch hat ein Song in d-Moll die besten Chancen – und bitte ohne Tonartwechsel.

Die Tonart gibt uns eigentlich ein Raster vor, in das wir eigentlich den Song rein produzieren können. Und da wir hier auf D-Moll setzen, aufgrund der Daten, stellen wir das in der Musiksoftware so ein und wählen dann auch Akkordfolgen, die dazu passen.

Was man häufig findet in ESC-Songs sind diese sehr orchestralen Elemente, die dann eben mit Pop und elektronischer Musik verbunden werden. Und in diesem Fall haben wir uns für ein Cello entschieden, welches einen sehr guten Grundton für die Stimmung legt. Also sehr simpel, aber effektiv und erzeugt direkt eine Stimmung.

Dann geht es natürlich darum, noch weitere Elemente zu diesem Cello hinzuzufügen. Das sind zum einen eben Pads, also wie das hier, das einfach so eine Art Atmosphäre schafft. Im Verse setzen wir dann zusätzlich noch auf eine Gitarre. Im Pre-Chorus kommen dann noch einige Instrumente hinzu, die im Prinzip die Stimmung grösser machen sollen.

Ein Genre, das momentan auch stark trendet, ist der sogenannte Stutter House. Das haben wir bei einem Chor und bei einem Synth so eingebaut.

Auch bei «The Code» hat man damals darauf geachtet, trendige Elemente einzubauen.

Benji Alasu: «Wir wollten eigentlich einen Song machen, der catcht und so ein bisschen TikTok-mässig so crazy ist. Und da wussten wir: Wenn wir einfach viele Sachen miteinander verbinden können, die zusammen gut harmonieren, dann kann das gut funktionieren. Und wir wussten, dass Nemo halt so talentiert ist, dass wir da halt fast keine Limitationen haben.»

Was für unseren Song jetzt noch fehlt, ist der Gesang. Und dafür brauchen wir zuerst einen Text. Lange mussten die ESC-Beiträge in der Landessprache des jeweiligen Landes gesungen werden. Aber seit 1999 dürfen die Länder frei wählen. Und eine Sprache hat sich dabei klar durchgesetzt: Englisch.

Um herauszufinden, worum es in den Texten geht, haben wir alle 388 Songs mithilfe verschiedener Large Language Models analysiert. Wir haben verschiedene Modelle und Prompts getestet – und haben dabei Folgendes herausgefunden:

Erstens: In den Texten geht es oft um starke Gefühle wie Liebe, Sehnsucht oder Herzschmerz.

Zweitens: Viele Songs handeln davon, sich zu wehren oder stark zu sein. Es geht oft um Selbstbestimmung, Mut oder das Brechen von Ketten.

Drittens: Es werden einfache Sprachbilder benutzt, um emotionale Prozesse auszudrücken. Also zum Beispiel Feuer, Sturm oder Licht.

Viertens: Viele Refrains haben einfache, repetitive Sprachmuster – oft auch ergänzt mit Lauten wie «Oh-oh-oh». Das macht sie einprägsam.

Der Einfachheit halber bauen wir den Songtext mit ChatGPT. Die Erkenntnisse der Daten haben wir jetzt in einen Prompt gepackt und daraus hat ChatGPT jetzt einen Text gebastelt. Die Strophe beginnt mit «They told me I should smile less wide, hide the fire I hold inside.»

Also man sieht hier in diesem Text geht es eben darum, sich nicht bremsen zu lassen von anderen und man selbst zu sein und ich würde sagen, der Text ist okay, aber ein Meisterwerk ist es halt wirklich nicht.

Dann bleibt noch die Frage, wer den Song singen soll. Auch da sind die Daten recht eindeutig: Frauen schneiden beim ESC am besten ab. Etwa 46 Prozent der Top-5-Beiträge wurden von einer Frau solo gesungen. Das heisst für unseren Song: Wir brauchen für unseren Text jetzt eine Sängerin.

Zu diesem Text haben wir jetzt eine Melodie gebaut und diese geben wir dann weiter an eine Sängerin. Die Sängerin hat uns dann dieses File zurückgeliefert. Kombiniert mit dem Instrumental klingt das Ganze dann so.

Benji Alasu: «Die erste Reaktion ist nice. Die Stimmung ist schon sehr genailt, finde ich. Also die Stimmungen im Sinne von, man hört das und man kann schon so ein Bühnenbild sehen, das ist schon eher ESC, finde Ich. Was noch fehlt, dass das Song mehr ESC sein könnte, wäre, ich würde jetzt für die Sängerin vielleicht einen halben Ton höher gehen und dann würde ich die Melodie noch angucken. Ich kann sie dir jetzt nicht nochmals nachsingen. An dem würde ich arbeiten.»

Das, was ich jetzt hier in diesem Experiment in dieser kurzen Zeit im Alleingang gebaut habe, kann natürlich nicht wirklich mit ESC-Produktion mithalten. Aber trotzdem zeigt es sehr schön, dass die ganzen kleinen Nuancen, diese künstlerischen Entscheidungen in den Details, die aber sehr sehr wichtig sind, in den Daten einfach fehlen.

Benji Alasu: «Warum macht diese Melodie etwas mit mir, und die anderen nicht? Das ist dann immer so die Frage. Warum funktioniert diese Akkordreihenfolge besser als die andere? Das sind alles Faktoren, aber die nicht datenbasiert aufnehmbar sind. Ich glaube, der Start ist schon ein bisschen datenbasiert im Sinne von, okay, wir wollen eine Ballade machen oder wir wollen was Knalligeres machen. Aber danach kommt dann das Kreative, danach kommt, wie man sich fühlt und was der Song möchte, sage ich immer.»

Am Ende ist die Produktion das Handwerk von Profis, von Künstlerinnen und Künstlern, die ihr Handwerk mehr als nur sehr gut beherrschen müssen, um hier einen Wettbewerb wie den ESC zu gewinnen.

nzz.ch

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