Operation Deep Sentinel: Grand Theft Auto Wiesbaden

Operation Deep Sentinel, das klingt nach Action, nach automatischen Waffen, nach einem Techno-Rock-Metal-Soundtrack. Hey, hast du Bock, heute Operation Deep Sentinel zu zocken? Hört sich an wie ein Satz, der in computerspielaffinen Freundeskreisen fallen könnte. Und der Trailer macht richtig Bock.
Ein wummernder Beat, ins Bild flackernde Schrift, eine dystopische Stadt. Neonpink und gelb dominieren das animierte Bild. Schon in der ersten Szene wird der Archetyp des Antihelden gezeichnet. „Ich war schon immer empfänglich, besonders für die schönen Dinge des Lebens“, sagt da eine düstere Stimme (frei übersetzt, das Video ist natürlich auf Englisch, das ist internationaler und damit auch cooler). Die Musik suggeriert: Die schönen Dinge des Lebens sind vor allem gefährlich. Glücksspiel, Nikotin, Drogen. Ein klassischer Versager, der sich aufschwingt, einer der größten Drogenbarone der Welt zu werden. So weit, so genretreu.
Der Twist erfolgt bei Sekunde 44 des zweiminütigen Filmchens: Szenenwechsel in die Hauptquartiere von BKA, Europol und Co. Hier sitzen die good guys, die in einer Bildmontage aus schnellen Polizeiautos, spezialeinheitswürdigen Uniformen (selbstverständlich mit Sonnenbrille) und blinkenden Bildschirmen den Verbrecher festnehmen. Und zum Schluss: Das Logo von Operation Deep Sentinel, tiefrot - als Gegenstück zum blauen Logo des Drogenbarons.
War beim BKA ein Praktikant mit KI-Kenntnissen am Werk? Das würde die wilde Mischung an Animationsstilen erklärenOptik und Story erinnern erstaunlich an bereits veröffentlichte (und extrem erfolgreiche) Spiele. Wer die Kultreihe „Grand Theft Auto“ über rumballernde, autoklauende Amis liebt, oder sich in „Cyberpunk 2077“ durchs dystopische Kalifornien der nahen Zukunft gehackt hat, dürfte Lust bekommen auf dieses neue Actiongame.
Das ist doch ein Spiel, oder? Oder?!
Ha, reingefallen! Das ist natürlich die Realität. Und dieser Antiheld, der einem eben noch als so unsympathisch-sympathisch vorgestellt wurde, ist ein international gesuchter Krimineller, den das BKA nun in Zusammenarbeit mit verschiedenen Justizbehörden in Barcelona festgenommen haben will. Europol, BKA, Homeland Security - alle sind dabei. Ein richtig dickes Ding. Die Plattform „Archetyp Market“ gilt als einer der ältesten und populärsten Drogenumschlagplätze im Darknet. Oder besser gesagt: galt. Sie ist abgeschaltet, dort prangen jetzt die Embleme der erfolgreichen Ermittlungsbehörden - und das Logo von „Operation Deep Sentinel“.
Ergänzend zur behördlich-nüchternen Mitteilung über die Festnahme und Abschaltung präsentiert das BKA eben noch dieses Video. Produziert wurde es laut Aussagen eines Pressesprechers komplett in Eigenregie. Irgendwo im Wiesbadener Hauptquartier scheinen sich ein paar Bewegtbildkünstler zu verstecken. Oder, und das ist deutlich wahrscheinlicher, ein Praktikant, der sich ganz gut mit dem Generieren von KI-„Kunst“ auskennt. Das würde zumindest die erstaunliche Ähnlichkeit zu bekannten Spielen und die wilde Mischung an Animationsstilen erklären: Mal sieht es mehr nach japanischem Anime aus, mal nach klassischem amerikanischen Comic, mal nach modernem Mix aus 2D- und 3D-Animation. So richtig sicher ist man sich auch nach mehrmaligem Anschauen nicht: Ist das jetzt cool? Oder total peinlich?
War dieses Video notwendig, um die Welt über den Fahndungserfolg in diesem Fall aufzuklären? Auf keinen Fall. Freut sich das Internet trotzdem darüber? Sicherlich. Im Internetforum Reddit überlegen die Nutzer schon, wie so ein „GTA Wiesbaden“ aussehen könnte: Straßenkämpfe gegen Gangs aus Mainz? Drogenübergabe im Thermalbad Aukammtal? Verfolgungsjagd über die B54? Die Fans, die gerade auf die Veröffentlichung von „GTA 6“ warten, würden in ihrer Verzweiflung sicher nicht Nein dazu sagen.
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