Carl-Bolle-Schule in Berlin-Moabit: Bildungssenatorin räumt ein, das Abgeordnetenhaus getäuscht zu haben

Erst sagte Günther-Wünsch, sie habe den Hilferuf einer Lehrkraft erst im Mai gelesen. Nun räumt sie ein: Er lag ihr schon im Dezember vor. Aus der Opposition kommt scharfe Kritik.
Die Berliner Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU) hat eingeräumt, das Parlament falsch informiert zu haben. Entgegen ihrer Aussage vom 12. Juni lag ihr der Hilferuf einer Lehrkraft, der an seiner Schule wegen seiner Homosexualität von Schülern bedroht worden sein soll, offenbar doch schon im Dezember 2024 vor. Und nicht erst im Mai, wie die Senatorin zuvor erklärt hatte.
Der Fall betrifft den homosexuellen Pädagogen Oziel Inácio-Stech, der sich wegen Diskriminierung an der Carl-Bolle-Schule in Berlin-Moabit an die Verwaltung gewandt hatte. Ausführliches Aktenmaterial belegt, dass er seit Jahren von muslimischen Schülern wegen seiner sexuellen Orientierung beleidigt und beschimpft wird.
In einem anwaltlichen Schreiben vom 4. Dezember 2024 an die Senatorin schilderte er massive Vorwürfe, die er unter anderem gegen die Schulleitung und den Leiter der Schulaufsicht in Berlin-Mitte, Detlev Thietz, gerichtet hatte. Außerdem informierte er über den möglichen Drogenmissbrauch einer anderen Lehrkraft. In einer E-Mail schrieb der Anwalt, bei dem Brief handele es sich um eine „Rüge der Befangenheit Ihres Mitarbeiters Thietz“.
Beide Schreiben waren direkt an Günther-Wünsch adressiert. Die Senatorin beantwortete sie jedoch nicht, sondern ließ den Fall ausgerechnet von dem Mann bearbeiten, gegen den sich die Beschwerde gerichtet hatte: Detlev Thietz von der Schulaufsicht. Der wiederum bestritt die Vorwürfe und erklärte sich selbst für unbefangen. Eine weiterführende Prüfung blieb aus. Inácio-Stech erhielt im Januar eine knappe Antwort, eine Diskriminierung aufgrund seiner Homosexualität sei nicht erkennbar.
Noch Anfang Juni hatte Günther-Wünsch im Bildungsausschuss betont, sie habe den Fall umfassend geprüft, er werde in den Medien verzerrt dargestellt. Von „Systemversagen“ könne keine Rede sein. Am 12. Juni sagte sie, sie habe das Schreiben des Anwalts erst im Mai gelesen. Am 20. Juni nun die Kehrtwende: „Im Zusammenhang mit dem Vorgang an der Carl-Bolle-Schule hat die von mir erbetene nochmalige Prüfung der Akten am 20. Juni 2025 ergeben, dass mir das Schreiben vom 4. Dezember 2024 persönlich vorlag.“ Günther-Wünsch bedauere, dass ihr dies zunächst nicht mehr erinnerlich gewesen sei.
Viele unbeantwortete Fragen – und Kritik aus der OppositionIn dem Fall stellen sich inzwischen einige Fragen. Wie genau prüfte die Senatorin den Fall überhaupt? Warum machte sie im Dezember ausgerechnet jenen Mitarbeiter zum Bearbeiter einer Beschwerde, die gegen ihn selbst gerichtet war? Informierte der Mitarbeiter seine Vorgesetzten in der Bildungsverwaltung über den Vorgang? Kamen alle zu dem Schluss, eine Diskriminierung liege nicht vor – oder entschied dies der offensichtlich befangene Mitarbeiter im Alleingang?Bislang schweigen die Senatorin und auch die Schulaufsicht Berlin-Mitte zu diesen Fragen, mit dem Verweis, es handele sich bei dem Fall um eine „Personaleinzelangelegenheit“.Aus der Opposition hört man nun lauter werdende Kritik. Die Grünen-Fraktionschefin Bettina Jarasch sagte: „Dass die Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch jetzt versucht, ihr Versagen im Fall des gemobbten Lehrers Oziel Inácio-Stech mit zwei halbgaren Sätzen an die Medien auszuräumen, zeugt von schlechtem Stil!“ Das Mindeste sei „eine echte Entschuldigung an den Betroffenen und ein angemessener Umgang mit seiner Beschwerde.“ Der Bildungsexperte der Grünen, Louis Krüger, fügte hinzu, Günther-Wünsch müsse nun alle Zusammenhänge und Abläufe in ihrer Behörde aktiv aufklären. „Wer trägt welche Verantwortung?“
Max Landero (SPD), Staatssekretär für Integration, sprach von einem strukturellem Versagen. „Der Lehrer hätte Hilfe und Unterstützung gebraucht", sagte er am Donnerstag im Bildungsausschuss.
Haben Sie Feedback? Schreiben Sie uns! [email protected]
Berliner-zeitung