DFB-Pokal-Viertelfinale: Arminia Bielefeld ist bereit für den nächsten Coup
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An Achterbahnfahrten sind sie in Bielefeld gewöhnt. Sollte man meinen nach 19 erstklassigen, 24 zweitklassigen und 12 drittklassigen Jahren des DSC Arminia zwischen 1970 und heute. Verständlich, dass auch leidenschaftliche Anhänger des ostwestfälischen Traditionsklubs ob der Auf-und-Ab-Geschichte ihres Leib-und-Magen-Vereins alles andere als gleichmütig auf die seit Jahrzehnten wechselhafte Formkurve der Fußballprofis in den Farben Schwarz-Weiß-Blau reagieren.
So wurden vor rund drei Wochen rund um die unerwartete 1:2-Heimniederlage im Drittligaspiel gegen Rot-Weiß Essen schon mal Pfiffe laut, sogar Rufe nach der Entlassung von Trainer Mitch Kniat. Inzwischen gewinnt die Arminia wieder, zuletzt zweimal nacheinander, und dazu trafen die zuvor enthaltsamen, im Januar dazugestoßenen neuen Stürmer Joel Grodowski und Roberts Uldrikis beim 3:0-Sieg am Freitag gegen den TSV München 1860.
Das Statement an der Grünwalder Straße hat die zwischenzeitlich miese Stimmung rund um die „Alm“ vertrieben und neue Hoffnungen auf eine Rückkehr in die Zweite Bundesliga zur nächsten Saison geweckt. Rechtzeitig vor dem Viertelfinalduell im DFB-Pokalwettbewerb an diesem Dienstag (20.45 Uhr im F.A.Z.-Liveticker und im ZDF) gegen den SV Werder Bremen ist beim Drittligavierten auch der Glaube an einen weiteren Coup im Cup gestärkt worden.
Gegen die momentan formschwache norddeutsche Bundesligamannschaft, die am Freitag eine 0:5-Niederlage beim SC Freiburg einstecken musste und derzeit im grauen Mittelfeld der Tabelle verharrt, rechnen sich die Bielefelder eine gute Chance aus. Verständlich nach den bisherigen Pokalerfolgen gegen den Zweitligaklub Hannover 96 (2:0) und gegen die Erstligavereine Union Berlin (2:0) und SC Freiburg (3:1). „Wir wollen das nicht genießen“, hat Trainer Mitch Kniat nach dem Sieg bei den Münchner „Löwen“ gesagt, „wir wollen das Spiel gewinnen.“
An Selbstvertrauen, Klassenunterschiede überwinden zu können, fehlt es den mal wankelmütigen, mal selbstsicheren Bielefeldern jedenfalls nicht. Wie viel Talent schon jetzt in der jungen Mannschaft steckt, hat vor allem die DFB-Pokalrunde dieser Saison mit Protagonisten wie dem famosen Torwart Jonas Kersken, dem stabilen Innenverteidiger Joel Felix oder dem quirligen Spielgestalter Marius Wörl offenbart.
Was inzwischen wieder recht stimmig ausschaut, zeichnete sich im Sommer 2023 nicht einmal ansatzweise ab. Sportgeschäftsführer Michael Mutzel begann seine Wiederaufbauarbeit nach dem freien Fall von der ersten in die zweite bis in die dritte Liga ohne Mannschaft, da sich nach dem jähen Absturz in die Drittklassigkeit allein die Bielefelder Klubikone Fabian Klos bereit erklärt hatte, für ein letztes Jahr im schwarz-weiß-blauen Dress die Mühen der Ebene auf dem Weg zurück nach oben in Angriff zu nehmen.
Unter großem Zeitdruck und neuen ökonomischen Zwängen stellte der frühere Bundesligaprofi der Frankfurter Eintracht, des VfB Stuttgart und des Karlsruher SC ein Team zusammen, das am Ende der Saison 2023/24 froh war, den Klassenverbleib geschafft zu haben. Das für diese Saison noch einmal umgebaute und mit elf neuen Kräften aufgefrischte Team hat sich inzwischen qualitativ deutlich verbessert. Um nach den Jahren des Abstiegs wieder aufsteigen zu können, müssen die Bielefelder ihr Topniveau indes stabilisieren.
Mutzel, davor als Sportdirektor beim Hamburger SV tätig, gibt beim Blick auf den Drittligaalltag aber auch zu bedenken, dass die konstante Erfolgswahrscheinlichkeit größer sei, wenn man länger zusammenspielt. „Uns war klar“, hebt der eher rationale Sportchef hervor, „dass wir nicht so gefestigt waren wie andere Klubs, die mit einem bewährten Stamm an Spielern in die neue Saison gegangen sind“.
Deshalb verweist er auf den längst nicht abgeschlossenen Aufbauprozess einer zu Höherem berufenen, aber noch zu labilen Mannschaft, die „sehr lernwillig und fleißig“ sei. „Wir wollen einen attraktiven Fußball spielen“, sagt Mutzel, „das funktioniert aber nicht auf Knopfdruck. Es ist ein Prozess, zu dem auch Rückschläge gehören und für den man ein bisschen Zeit und Geduld benötigt.“
Anders als in den oft zähen Duellen mit Drittligawidersachern, die sich wirksam zu verteidigen wissen, genießen die Bielefelder Profis den offenen Schlagabtausch mit den Bundesliga-Kollegen in den Pokalduellen. Im prestigeträchtigen Kräftemessen mit der höherklassigen Konkurrenz hat Kniats Mannschaft noch jedes Mal mit erstklassigen Leistungen und professioneller Cleverness gezeigt, zu was sie in der Lage ist. Die Bielefelder Profis entwickeln dann eine im Drittligaalltag selten gesehene Dynamik, gepaart mit viel Ballbesitz, was insgesamt ziemlich attraktiv anmutet.
Mit den aufsehenerregenden Pokalerfolgen haben die Ostwestfalen bis dato den für Drittligaverhältnisse üppigen Batzen von 3,1 Millionen Euro verdient. Gegen Werder will sich die Arminia zum vierten Mal nach 2005, 2006, seinerzeit als Bundesligaklub, und 2015 ins Halbfinale zu katapultieren, in der die Traumreisen der Ostwestfalen bisher stets endeten.
Vor zehn Jahren vollbrachten die Bielefelder als Drittligaklub schon einmal das Kunststück, die Runde der letzten Vier zu erreichen – und scheiterten dann mit einer 0:4-Niederlage am VfL Wolfsburg. Wiederholte sich die Geschichte, könnte darin auch ein gutes Omen verborgen sein. 2015 stieg der DSC Arminia ein paar Wochen später wieder einmal auf: in die auch jetzt wieder ersehnte Zweite Bundesliga.
Frankfurter Allgemeine Zeitung