Das Wunder von 11A: Ist das der sicherste Sitzplatz im Flugzeug?

Bei einem Flugzeugabsturz in Indien sind am Donnerstag mehr als 240 Passagiere und Crewmitglieder getötet worden. Nur ein Mensch aus der Boeing 787 hat das Unglück überlebt: Vishwash Kumar Ramesh. Er saß Berichten zufolge auf dem Sitzplatz 11A des Fluges AI171. Viele Medien sprechen von einem Wunder.
Hatte der Überlebende mit 11A den sichersten Sitz im Flugzeug – oder einfach nur Glück?
Im konkreten Fall wäre es tatsächlich möglich, dass 11A einen Vorteil geboten hat: mehr Freiraum. Denn der Sitzplatz von Ramesh lag direkt am Notausgang, vor ihm war eine größere Lücke bis zur nächsten Sitzreihe.
„Das Flugzeug war mit der Nase nach oben gerichtet, als es gegen die Gebäude prallte“, sagte Tony Cable, ein ehemaliger leitender Inspektor für Flugunfälle der britischen Flugunfalluntersuchungsbehörde, dem britischen „Guardian“. „Vermutlich ist der Rumpf in einem Bereich in der Nähe des Mannes aufgebrochen, und glücklicherweise konnte er ohne größere Verletzungen herauskommen.“

Forensische Experten und Beamte der DGCA stehen am Absturzort des Air-India-Flugzeugs. Der Air-India-Flug mit Ziel London stürzte kurz nach dem Start vom Flughafen Ahmedabad ab.
Quelle: IMAGO/Hindustan Times
Es ist nicht das erste „Wunder von Sitzplatz 11A”. Das Unglück ereignete sich auf dem Thai-Airways-Flug TG261 von Bangkok nach Surat Thani. Beim Landeanflug geriet die Maschine ins Stocken und stürzte in einen Sumpf. 101 der insgesamt 146 Menschen an Bord starben. Unter den Überlebenden war der thailändische Sänger Ruangsak. Er saß auf Platz 11A.
Trotzdem: „Sitz 11A zu buchen ist keine Lebensversicherung“, betonte Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt gegenüber der Deutschen Presseagentur. „Der Überlebende hat unfassbares Glück gehabt.“
Trotzdem: Gibt es wissenschaftlich belegbare Unterschiede in der Sicherheit einzelner Sitzplätze? Mit dieser Frage haben sich mehrere Studien beschäftigt. Die kommen zu der Antwort: Ja.
Und dabei handelt es sich nicht unbedingt um die Lieblingssitze. Die meisten Menschen sitzen lieber weiter vorne – nicht erst seit den Berichten über das „Wunder von Platz 11A”. Denn vorn kommen sie nach der Landung schnell aus der Maschine. Plätze am Fenster, am Gang oder mit besonders viel Beinfreiheit sind ebenfalls beliebt.
In der Mitte hingegen wollen die wenigsten sitzen, denn es gibt weder Platz zum Ausstrecken noch eine Möglichkeit zum Anlehnen.
Doch Komfort und Sicherheit gehen in diesem Fall nicht unbedingt Hand in Hand. Denn statistisch gesehen sind die mittleren Plätze in den letzten Reihen die sichersten im Flugzeug, wie der australische Luftfahrtexperte Doug Drury im Fachmagazin „The Conversion“ schreibt. Für diese Ergebnisse beruft er sich auf Statistiken der letzten Jahrzehnte. Warum ausgerechnet der Mittelplatz? Laut Doug Drury liege das am „Puffer, der durch die Anwesenheit von Personen auf beiden Seiten entsteht“.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch eine Analyse der „Time“ und vom Magazin „Popular Mechanics“. Die „Time“ hatte dafür im Jahr 2015 Daten der CSRTG Aircraft Accident Database der US-amerikanischen Flugsicherheitsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) nach Unfällen mit Todesopfern und Überlebenden untersucht. Demnach liege auf den mittleren Sitzen in der letzten Reihe die Sterblichkeitsrate bei nur 28 Prozent.
„Popular Mechanics“ untersuchte Unglücke zwischen den Jahren 1071 und 2005. Demnach liegt die Wahrscheinlichkeit, einen Unfall im hinteren Drittel des Flugzeugs zu überleben, bei 69 Prozent. Im vorderen Drittel – normalerweise First- oder Businessclass-Gästen vorbehalten – liegt die Überlebensrate jedoch nur bei 49 Prozent.
Laut der Untersuchung des „Time Magazine“ sind die vordersten in der First- und der Businessclass sowie die Sitze an den Tragflächen am gefährlichsten (38 und 39 Prozent Sterblichkeitsrate). Bei Unglücken wie Bruchlandungen oder dem Überrollen der Landebahn sind sie der ersten Aufprallkraft ausgesetzt.
Die unsichersten Plätze sind demnach die am Gang im mittleren Drittel der Kabine mit einer Sterblichkeitsrate von 44 Prozent.

Wer im hinteren Drittel des Flugzeugs sitzt, hat bessere Überlebenschancen als im vorderen und mittleren Drittel.
Quelle: IMAGO/YAY Images
Bei vielen Abstürzen wirkt die erste Aufprallenergie auf den Bug. „Der Rest des Flugzeugs ist, vereinfacht gesagt, bei vielen Unfällen Knautschzone“, sagte Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt der Deutschen Presseagentur.
So überlebten beim Flugzeugunglück in Südkorea Ende 2024 nur zwei Crewmitglieder – sie saßen ganz hinten auf Klappsitzen. Auch bei einem Vorfall in Aserbaidschan überlebten nur die Personen, die sich im hinteren Flugzeugsegment befanden. Das Flugzeug brach auseinander, die hintere Hälfte blieb relativ unversehrt. Studien deuten also darauf hin, dass die Flugzeugstruktur maßgeblich über Leben und Tod mitentscheidet – insbesondere bei Aufprallunfällen.
Eine Studie der University of Greenwich zeigte zudem, dass Überlebende, die in der Nähe eines Notausgangs sitzen, nach einem Absturz höhere Chancen haben, das Flugzeug lebend zu verlassen. Voraussetzung dafür ist, dass es auf dieser Seite kein Feuer gibt.
Empfohlen wird daher, möglichst nicht mehr als fünf Sitzreihen vom nächsten Notausgang entfernt zu sitzen. Denn im Ernstfall zählt jede Sekunde, so war es auch bei Vishwash Kumar Ramesh aus dem Unglücksflieger von Air India.
Doch obwohl ihm sein Sitzplatz bei diesem Absturz möglicherweise einen Vorteil verschaffte, musste er extrem schnell handeln, um aus dem Flugzeug zu kommen. Wenn er nicht innerhalb weniger Sekunden herausgekommen wäre, hätte er es wohl nicht mehr geschafft. Dann ging die Boeing 787 in einem Feuerball auf.
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