Bachs Musik gegen Krieg und Diskriminierung

Drei Mal hat der Komponist Johann Sebastian Bach seine berühmte Johannes Passion im Laufe der Jahre verändert und immer wieder dem Zeitgeist angepasst. Die Geschichte, die den Leidensweg Jesu Christi erzählt, scheint aktueller denn je. Das Bachfest Leipzig hat nicht nur zwei der erhaltenen Fassungen von Bach im Programm, sondern auch einige ungewöhnliche Transformationen.
Bei der "Queer Passion" - mit einem neuen Libretto von Thomas Höft - ging es am Eröffnungswochenende um den Leidensweg von Menschen aus der LGBTQ-Szene. "Gerade in Russland und in den USA werden queere Menschen wieder diskriminiert und unterdrückt", sagt der Autor, Dramaturg und Regisseur Thomas Höft der DW.
Bach auf Arabisch gegen die Kriege im Nahen OstenDie "Arabische Passion" in der Bearbeitung des bulgarischen Musikers Vladimir Ivanoff gibt Bachs Musik einen orientalischen Flair. Open Air auf dem Leipziger Marktplatz erreichte seine Botschaft für Frieden zwischen Okzident und Orient ein großes Publikum. Ivanoff hatte 2006 Ausschnitte aus Bachs Johannes- und Matthäuspassion zusammengestellt, damals unter den Eindrücken des Einmarschs der USA in den Irak. "Ich habe das Leid der Menschen dort gesehen und eine Parallele zum Evangelium gezogen", sagt er im Gespräch mit der DW. "Ich hätte nie gedacht, dass nach nahezu 20 Jahren dieses Thema im Nahen Osten immer noch so aktuell ist".

Die Ausschnitte der Passionen werden auf Arabisch von der libanesischen Schauspielerin und Sängerin Fadia Tomb el-Hage gesungen, die in Deutschland lebt. "Ich bin im Libanon aufgewachsen und es herrschte nahezu ständig eine Anspannung", erzählt sie im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Solange ich denken kann, gab es immer wieder Bürgerkriege." Seit den jüngsten Angriffen Israels auf den Iran macht sie sich große Sorgen um ihre Verwandten und Bekannten im Libanon. Die Arie "Erbarme dich" aus der Matthäuspassion hat sie besonders herzergreifend gesungen.
Transformation über die Musik hinaus"Transformation", lautet das Motto des Bachfests in diesem Jahr. "Das ist ja im Moment ein Wort, das wir im Überfluss hören", sagt Bachfest-Intendant Michael Maul der DW und spielt auf die Transformationen in der Wirtschaft, in der digitalen Welt oder beim Klimawandel an. "Wir haben diesen Begriff auf die Musik übertragen und er passt sehr zu Bachs Werken."
Johann Sebastian Bach hat immer wieder eigene Stücke umgearbeitet, neu instrumentiert oder auch neue Texte verwendet. Auch von seiner h-Moll Messe, die zum Weltkulturerbe gehört, gibt es mehrere Fassungen. Beim Eröffnungskonzert erklang seine erste kurze Fassung von 1733, die selten aufgeführt wird. Für das Gewandhausorchester und den Leipziger Thomanerchors unter Leitung von Thomaskantor Michael Reize gab es tosenden Applaus. Ob auf Portugiesisch, Deutsch oder Japanisch, die rührenden Momente der hohen Jungen-Stimmen wurden nach dem Konzert noch von vielen Gästen vor der Thomaskirche kommentiert.

Das Bachfest gehört zu den internationalsten Klassikfestivals in Deutschland. Nach Ticket-Verkauf sind in diesem Jahr Besucher aus über 50 Ländern zu Gast von Burundi über Süd Afrika und die USA bis nach Lateinamerika. Besonders viele Gäste kommen jedes Jahr aus den asiatischen Regionen, um Bachs Musik an Originalschauplätzen zu erleben, dort wo Bach von 1723 bis zu seinem Tod 1750 als Thomaskantor tätig war. In diesem Amt hat er unter anderem den bekannten Thomanerchor geleitet, einen der ältesten Jungen-Chöre Deutschlands.
Das Bachfest wird jedes Jahr vom Leipziger Bach Archiv ausgerichtet, das in diesem Jahr seinen 75 Geburtstag feiert. Zum Jubiläum freute sich Direktor Peter Wollny über eine großzügige Schenkung aus den USA, die Sammlung Kulukundis. Es handelt sich um Briefe, Schriften und Autographe der Söhne des großen Barockmeisters Johann Sebastian Bach. Das Archiv in Leipzig besitzt die zweitgrößte Sammlung der Welt an Schriften, Büchern und Objekten zu Johann Sebastian Bach und seiner weitverzweigten Familie. Das Konvolut der Bach-Söhne wird bislang auf circa 10 Millionen Euro geschätzt.
Bach Parodien mit AugenzwinkernBei Transformationen der Texte Bachscher Musik geht es für heutige Ohren oftmals amüsant zu. So hat Bach etliche seiner weltlichen Kantaten später im Dienst der Kirche zu geistlichen Kantaten umgearbeitet. Die weltlichen Texte wurden im sogenannten "Parodieverfahren" durch geistliche Texte ersetzt.Beim Bachfest sind auch einige der weltlichen Ursprungskantaten zu hören.
Das Weihnachtsoratorium gehört zu den meistgespielten Werken von Bach und weist einige Parallelen zu früheren weltlichen Kantaten auf. Der bekannte Choral "Jauchzet, Frohlocket", ein Lobgesang auf Gott den Herrscher, stand vorher in einem ganz anderen Kontext. Die gleiche Melodie findet sich in der weltlichen Herkules Kantate aus der griechischen Mythologie, die Bach einem Kurfürsten gewidmet hatte. In einer Arie geht es nicht etwa um den Zweikampf von Herkules mit dem Feind, sondern um die Attraktion des weiblichen Geschlechts und den Kampf gegen die eigene Wollust.

Zur Unterhaltung mit Bachs Musik hat auch Michael Maul mit einem speziellen Libretto beigetragen. "Es ist eine Art heiteres Singspiel, bei dem ich mir überlegt habe, wie Bach wohl Goethes Faust vertont haben könnte", sagt Bachfest Intendant Maul. Entstanden ist das Ganze zum 500-jährigen Jubiläum von "Auerbachs Keller". Das einstige Weinlokal, in dem der Dichter Johann Wolfgang von Goethe zu seinem Drama "Faust" inspiriert wurde, ist heute eine Touristenattraktion. Dort wird "Bachs Faust" während des Bachfestes mehrmals aufgeführt.

Michael Maul hat Bach auch in die digitale Welt transformiert und dort zum Leben erweckt. Mittels Augmented Reality wird Johann Sebastian Bach als Avatar ein Cembalokonzert spielen und auf die ihm nachgesagte ruppige Art kommentieren. "Es sind zum größten Teil Zitate von ihm selbst oder aus seinem mittelbaren Umfeld mit lustigen Elementen", erläutert Michael Maul. Zu sehen ist das digitale Event mit entsprechenden 3D-Brillen. Mit dem transportablen Equipment wird das Konzert nach dem Bachfest auch auf Tournee gehen. Einladungen aus den USA, Malaysia und Japan, gibt es bereits.
Das Bachfest in Leipzig geht noch bis zum 22.Juni
dw