Showdown auf dem Erdbeerfeld: Wie ich um die letzten Beeren Berlins kämpfte

In unserer Patchworkfamilie ist es Tradition, dass wir am Geburtstag der Tochter gemeinsam ins Erdbeerfeld fahren. In Havelhöhe, denn dort ist sie geboren. Nun war wirklich ihr 18. Geburtstag und die Sonne kam extra deshalb heraus und setzte alles in grandioses Licht. Angemessener Weise, wie ich fand.
Doch als wir am Rand des Feldes ankamen, sagte der junge Herr Erdbeeroberst aus seiner, einer Erdbeere skulptural exakt nachempfundenen Behausung heraus: „Sorry, Einlasstopp. Für euch gibt es hier heute nichts mehr zu holen, nächste Woche wieder.“ Wir konnten es nicht fassen. Der Erdbeeroberst berichtete von der aktuell grassierenden Erdbeerknappheit, von der wir noch gar nichts mitbekommen hatten. Dieses Feld hier sei überhaupt das einzige in ganz Berlin, das über Pfingsten geöffnet hat, bis weit hinter den brandenburgischen Bühlsand dahinten hätten die Leute gestanden und jetzt sei eben wirklich alles leer, Ebbe, nix mehr da.
Natürlich war das für uns keine Option. Also erzählte ich die Geschichte der Familientradition – genau hier her, seit 18 Jahren. Wir müssten! Wir würden ganz sicher noch einige Erdbeeren finden. Wir würden gut bezahlen. Wir wollten, wir mussten es einfach versuchen. Und er ließ uns hinein! Ich war der Held auf dem Erdbeerfeld, waren sich alle einig. Und das machte mich natürlich stolz. Aber noch stolzer machte mich meine Tochter, die von nun an eine Erwachsene war hier auf dem Erdbeerfeld ohne Erdbeeren. Sie ist die Heldin meines Lebens.
Und dann begann also der Kampf. Mit ungefähr zehn anderen Menschen suchten wir auf einem etwa siebzehn Fußballfelder großen Raum nach den letzten kleinen roten Früchten. Man musste an die Ränder, wurde bald klar, also sehr weit laufen. Und dort immer noch vor die anderen Leute kommen, dahin, wo wirklich noch niemand war, dort fanden sich noch Erdbeeren. Da lief man natürlich nicht total aggressiv, aber doch halt immer möglichst schon etwas schneller als die anderen hin. Und ich erinnerte mich, wie ich zum ersten Mal in meinem Leben auf so einem Feld stand und es muss das erste Mal gewesen sein, weil ich es in meiner Erinnerung einfach nicht fassen konnte: Dass man hier wirklich umsonst alles essen konnte! Wie im Schlaraffenland, wie im Kommunismus.
Man sammelte und suchte, direkt vom Stängel, immer eins in den Mund, und eins in den Behälter. Man konnte so viel essen wie man wollte. Wir fanden an diesem Tag noch viele Erdbeeren, die letzten Erdbeeren in ganz Berlin. Es war ein schöner Tag.
Berliner-zeitung