Stars und Sternchenauf der Startaufstellung


Alles muss hier seine Ordnung haben, so haben es sich jedenfalls diejenigen vorgestellt, die im Abstand von acht Metern fein säuberlich Markierungen auf den Boulevard Albert 1er gemalt haben. Es ist der aufregendste Parkplatz der Welt, die Startaufstellung der Formel 1 zum Grossen Preis von Monaco.
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Doch rollen die ersten Rennwagen an ihren Platz, ist es vorbei mit jeglicher Contenance. Gebrüllte Ausrufezeichen fliegen durch die Luft: «Aus dem Weg!» «Platz da!» «Haut ab!» In ihrem Epizentrum entlarvt sich die Königsklasse als Ellbogengesellschaft.
Eine gute halbe Stunde bevor es losgeht, beginnt der telegene Wahnsinn. Jeder, der etwas gilt – und alle jene, die etwas gelten wollen, drängen auf den schmalen Asphaltstreifen. Sie treffen auf Mechaniker, Ingenieure, Teamchefs und Fahrer, die unter erschwerten Bedingungen ihrer Arbeit nachgehen. Dazu auf eine Menge Kamerateams, Fotografen und Reporter. Kein anderer Sport lässt so viel Nähe zu wie die Formel 1, die als Kombi aus Sport, Geschäft und Glamour früh die Wirksamkeit des Vorgeplänkels erkannt hat und sie entsprechend ausschlachtet.
Ein Erlebnis, das keiner kaufen kannAuf dem sogenannten Grid verdichten sich Adrenalin, Schweiss und Benzingeruch. Ein offenbar unwiderstehliches Gemisch für zahlreiche Prominente. Selbst wer zum internationalen Jetset gehört, bekommt nicht ohne weiteres Zugang. Die Anzahl der kleinen Sticker, die zusätzlich zum Fahrerlagerpass benötigt werden, ist streng limitiert. Käuflich ist dieses Erlebnis nicht.
Eine Atmosphäre, die sich schnell aufheizt. Die Aufregung der einen darüber, im Mittelpunkt zu stehen, ergänzt sich mit der Nervosität jener, für die es gleich in den Kampf ums Sekundenglück geht. Das Spektakel vor dem Spektakel ist auch für die Fernsehanstalten ein wichtiger Programmpunkt geworden.
Der britische TV-Reporter Martin Brundle hat dadurch Kultstatus erlangt – auch weil er regelmässig mit Prominenten reden muss, von denen er nicht immer so genau weiss, wer sie sind. Oder wenn sich ihm Bodyguards wie der von Kylian Mbappé in den Weg stellen. «Als ich 1997 anfing, mit einer Kamera durch die Startaufstellung zu schlendern, war ich fast der einzige Gast», erinnert sich der ehemalige Rennfahrer Brundle, «heute sind es um die 2000 Menschen, die sich dort drängen.»
Wie so vieles in der Königsklasse ist es ein Geben und Nehmen. Rennställe und deren Sponsoren, das Formel-1-Management und die Veranstalter laden bei jedem Grand Prix Prominente aus Sport, Show, Wirtschaft und Adel ein, um etwas von deren Ruhm abzubekommen und sie als Multiplikatoren nutzen zu können.
Umgekehrt hoffen die Eingeladenen, durch ihren Auftritt bei der Boom-Formel neue Zielgruppen zu erobern. In Italien und Spanien kommen gern die Fussballer und Motorradfahrer, um sich ins Getümmel zu stürzen. Andere, wie Orlando Bloom, erliegen ganz einfach dem Zauber der Rennwelt, machen Selfies von sich mit den PS-Matadoren oder den Autos.
Im Zwei-Wochen-Rhythmus entsteht so eine einmalige Ansammlung von Reichen und Scheinreichen, Mächtigen und Ohnmächtigen. Viele davon sind Wiederholungstäter, haben sich vom Top-Motorsport in seinen Bann ziehen lassen. Der Hollywood-Star Michael Douglas ist ein echter Aficionado geworden, er wetteifert darin mit den Kollegen Tom Cruise und Keanu Reeves. Rowan Atkinson, Hugh Grant und Antonio Banderas auch. Brad Pitt ist sozusagen beruflich da, als Hauptdarsteller des neuen Formel-1-Films, der bald Weltpremiere feiert.
Der Brite Gordon Ramsay wurde nach seinen zahlreichen Grid-Besuchen zum Hofkoch der Formel 1 befördert. Die Skirennfahrerin Lindsey Vonn ist regelmässig auch hier dem Tempo-Wahn auf der Spur. Zwischen manchen Prominenten und Fahrern entstehen echte Freundschaften. Das Model Heidi Klum lernte in der Formel 1 Flavio Briatore erst kennen und dann lieben, die TV-Reporterin Karen Minier angelte sich den schottischen Fahrer David Coulthard.
Aber die ertragreichste Lovestory, die in der Startaufstellung entstand, ist die von Slavica Radic. Die Kroatin war 1982 von Armani zum Rennen nach Monte Carlo geschickt worden, wo sie ein gewisser Bernie Ecclestone ansprach. Das damalige Grid-Girl gab dem Zampano eine falsche Telefonnummer, später heirateten die beiden, für die Scheidung kassierte sie angeblich eine Milliarde Dollar. Fahrerfrauen übrigens sind im Gegensatz zu früher rar zwischen den Autos, sie bangen lieber in den Garagen.
Die Fahrer sind generell ansprechbar, aber wenn die Startzeit näherrückt, werden sie beschützt von Physiotherapeuten oder wie Lewis Hamilton gleich von zwei Bodyguards. Den Sportlern bleibt als Fluchtmöglichkeit nur der eilige Gang auf die Toilette, mit Helmvisier unten – und schliesslich das Cockpit.
Eins wird auf diesem Rummelplatz gern vergessen: dass es um 20 Männer geht, die sich auf nervenaufreibende Rad-an-Rad-Duelle vorzubereiten haben, bei denen sie unter Umständen ihr Leben riskieren. Unvorstellbar, dass sich Reporter und Schaulustige ins Starthaus der Lauberhornabfahrt begeben oder in Wimbledon auf den Center-Court.
Dank den Showbusiness-Kontakten des Serieneigentümers Liberty Media muss Monte Carlo um seinen ersten Platz auf der Hitliste bei den Stars bangen. Die Nähe zu den zeitgleich laufenden Filmfestspielen im nahen Cannes hat stets für eine hohe Dichte an Hollywood-Akteuren gesorgt. Aber die neuen Rennen in Miami und Las Vegas übertreffen mit ihrer Star-Dichte alles je Dagewesene. Da drängeln sich Musiklegenden wie Adele, Jon Bon Jovi, Rod Stewart oder Rihanna, Sportgrössen wie Evander Holyfield, die Williams-Schwestern, Shaquille O’Neal oder Usain Bolt. Und Berufs-Celebrities wie Paris Hilton.
Im Wettstreit um die weltumspannende Popularität holen inzwischen auch die arabischen Länder auf, lassen reihenweise Prominenz einfliegen, wie jüngst Jennifer Lopez, die im rosafarbenen Latex-Rennanzug erschien. Auch auf dieser Meile der Eitelkeit gilt es, um jeden Preis aufzufallen. Pech für die Sängerin Kylie Minogue, dass sie im letzten Jahr in Monte Carlo Sandalen mit offenen Zehen trug. Da das nicht erlaubt ist auf Rennstrecken, hielt ein Security-Guard sie auf. Die Australierin musste sich bei einem Team ein paar Turnschuhe leihen, die zwei Nummern zu gross waren.
Wenn die VIP-Betreuer ihre Gäste briefen, dominieren wieder die Ausrufezeichen: «Nichts anfassen! Autos und Mechaniker haben immer Vorrang! Kameraleute nicht behindern!» Aber selbst routinierte Darsteller geraten schnell in den Sog der zwischen den Autos hin und her wogenden Menge. «Manchmal fühlt man sich hier eher wie in einem Klub als auf der Rennstrecke», sagt der Aston-Martin-Ingenieur Mike Krack.
Erst zehn Minuten vor dem Start ist der Spuk vorbei, dürfen nur noch Teammitglieder an den Autos stehen, 15 Sekunden vor der Einführungsrunde müssen auch alle Mechaniker weg sein. Dann ist Rennen. Endlich.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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