Vermächtnis in Arbeit: Wie Ancillo Canepa die Zukunft vorbereitet und dabei alles riskiert


Mehr als 800 Spiele seines FC Zürich hat Ancillo Canepa als Präsident schon miterlebt, viel mehr Siege als Niederlagen. Doch die letzte Saison war wieder eine Enttäuschung, ein weiteres Jahr, wie es in seiner Ära häufiger vorkam, als ihm lieb ist.
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Ancillo Canepa ist nun länger Präsident des FCZ, als Angela Merkel Deutschland regierte und Sepp Blatter die Fifa führte. Bald sind es 20 Jahre, dann ist er gleich lang im Amt wie sein Vorgänger Sven Hotz. Als Hotz mit 77 Jahren erschöpft zurücktrat, glaubte niemand, dass je wieder jemand so lange bleiben werde.
Aber Canepa macht einfach weiter, immer noch eine Saison. Eine Generation von FCZ-Fans kennt keinen anderen Präsidenten als ihn. Und er hat noch etwas vor, was ihm bis heute nicht gelungen ist: den FC Zürich krisensicherer zu machen. Damit er und seine Frau Heliane eines Tages beruhigt gehen können. Es wäre ihr wichtigstes Vermächtnis.
Canepa ist 72, Heliane 77, seit mehr als einem halben Jahrhundert sind sie verheiratet. Sie sind das einzige Ehepaar im Profifussball, das gemeinsam einen Klub besitzt. Die Frage ist nicht, ob sie aufhören. Sondern wann – und was danach kommt.
Der schwierigste Teil jeder Ära ist ihr Ende. Bei den Canepas könnte es besonders schwierig werden.
Die letzte IdeeIn den vergangenen eineinhalb Jahren haben die Canepas begonnen, das Loslassen zu üben. Es ist wie ein langsamer Entzug von ihrem Klub, der ihr Leben ist. Sie stellten mit dem ehemaligen Spielerberater Milos Malenovic einen Sportchef ein und gaben ihm so viel Macht wie noch keinem Angestellten zuvor. So dass er fast kein Mitarbeiter mehr ist, sondern so auftritt, als gehöre ihm der Klub schon bald.
Und während die Canepas beobachten, was daraus wird, fragen sich viele: Wenn die Entscheidung, alles auf Malenovic zu setzen, ihre letzte grosse Idee für den FC Zürich war – war es wirklich die richtige?
Seit Malenovic da ist, formt er den Klub nach seinem Verständnis von Leistung und moderner Führung um. Er handelt schnell und kompromisslos. Wer nicht mitzieht, muss gehen. Für Malenovic ist Fussball ein Geschäft – härter, als es die Canepas je verstanden haben. Sie wissen längst, dass Fussball nicht nur ein Spiel ist. Aber bei ihnen gibt es Zitronenkuchen, wenn ein Nachwuchsspieler den ersten Profivertrag unterschreibt. Für sie ist der FC Zürich mehr als Geschäftszahlen und Resultate.
Nicht alles, was Malenovic tut, gefällt den Canepas. Seine forsche Art irritiert sie genauso, wie sie sie beeindruckt. Aber sie halten an ihm fest. Warum vertrauen sie ihm so sehr?
Weil die Canepas die Canepas sind: emotional, loyal und stur. Und weil sie überzeugt sind, immer selbst am besten zu wissen, was richtig ist.
So waren sie immer. So war auch die Zeit ihrer Präsidentschaft.
Zähne und VerkehrstafelnAls Ancillo Canepa im Dezember 2006 Klubchef wurde, war er der erste Vollzeitpräsident der Schweiz. Er verdiente keinen Franken und holte den FC Zürich in die Neuzeit. Canepa kam von der Beratungsfirma Ernst & Young, wo er mit 36 Jahren der jüngste Direktor und am Schluss der Chef von über tausend Mitarbeitern war.
Als er Präsident wurde, sprach er Businessdeutsch, und die Fans hatten Angst, dass er den Klub viel zu kühl führen würde. Es gab sogar Plakate, auf denen stand, dass man ihn nicht haben wolle.
Heute weiss man: Die Furcht war unbegründet. Eher das Gegenteil traf ein. Canepa erwies sich als überraschend emotional.
Wer ihn wirklich kannte, hätte sich nicht gewundert. Später erfuhr man, dass sich seine Mutter schämte, ihm beim Fussball zuzusehen, weil er so temperamentvoll war. Als junger Mann kletterte er im Militär auf eine Verkehrstafel und machte sich einen Spass daraus, die Autos zu dirigieren. Das Spielerische und das Impulsive waren immer da, Anzug und Krawatte kamen erst später.
Als FCZ-Präsident biss er sich einmal während eines Spiels einen Zahn an seiner Pfeife aus, weil er so nervös war und sich ärgerte. Und als der FC Zürich in der Champions League gegen Real Madrid spielte, traf er im Bernabeu-Stadion den früheren Weltklassefussballer Emilio Butragueño und rief ihm in kindlicher Freude zu: «Emilio, Emilio, open the legs», mach die Beine auf, und dann hat ihm Canepa den Ball zwischen den Knien durchgespielt. Am Abend kam die Szene in den spanischen Fernsehnachrichten.
Canepa ist bis heute ein Spieler geblieben, auch mit über 70 kickt er jeden Montag. Letzte Woche spielte er an der Weltmeisterschaft der über 65-Jährigen mit einer Schweizer Nationalmannschaft und erzielte mehrere Tore.
Was für den Fussball gilt, gilt auch für seine Beziehungen: Canepa spielt, er taktiert nicht. Er ist vernarrt in Spieler, wenn ihm ihre Art zu spielen gefällt oder wenn sie einen grossen Namen haben. So war es beim französischen Weltmeister Benjamin Mendy, der im Winter zum FCZ kam, obwohl er wegen Vergewaltigung und sexueller Nötigung angeklagt und später freigesprochen wurde.
So ist das manchmal bei Ancillo Canepa: Erwischt ihn jemand in einem enthusiastischen Moment, verliert sein Kopf gegen den Bauch. Es kam schon mehrmals vor, dass Canepa nach einem solchen Moment zu sich selber sagten musste: «Oje, habe ich jetzt einen Seich gemacht?» Heute weiss Canepa auch, dass Mendys Engagement keine gute Idee war, aber öffentlich sagen würde er das nicht.
Wer Canepa begeistert, muss nicht unbedingt auf dem Platz stehen. Immer wieder ist er auch von Mitarbeitern fasziniert, in denen er etwas sieht, was ihn an sich selbst erinnert. Malenovic hat etwas vom Ehrgeiz des jungen Canepa, der als Lehrling in der Maschinenfabrik Rüti die Post sortieren musste und sich dann hocharbeitete.
Auch das hatte Canepa immer in sich: Menschen zu fördern und ihnen beim Aufstieg zu helfen. Solange sie in seinem Sinn funktionieren.
Der psychologische ReflexHeliane und Ancillo Canepa beurteilen Menschen seit vielen Jahren nach einem Muster. Sie sind begeisterungsfähig, sie vertrauen schnell, sie sind lange loyal – und, wenn sie sich täuschen, tief enttäuscht. Wer einmal ihr Vertrauen hat, darf viel. Wer es verliert, ist schnell Geschichte. Was sie dann über ehemalige Angestellte erzählen, zeigt: Die Canepas können nachtragend sein.
Und noch eine stille Regel der Personalwahl gibt es beim FCZ: Wer geht, wird durch sein Gegenteil ersetzt. Es ist, als ob jede Entscheidung eine Korrektur der vorherigen wäre, so wie ein psychologischer Reflex. Nach einem jungen Trainer kommt ein erfahrener, nach einem emotionalen ein nüchterner und nach einem aus dem eigenen Klub einer aus der grossen Fussballwelt.
Oft ist es die Unzufriedenheit, die die Veränderungen im FC Zürich antreibt, und nicht ein Plan.
Auch Marinko Jurendic, Malenovics Vorgänger, war dessen Gegenbild: ruhig und zurückhaltend. Wenn man Jurendic vorwarf, unscheinbar zu sein, sagt man Malenovic nun das Gegenteil nach.
Jetzt ist es Malenovic, der in der Gunst der Canepas steht. Er soll schaffen, woran viele vor ihm gescheitert sind: den FCZ so aufzustellen, dass er berechenbarer wird. Der FC Zürich gewann unter Canepa drei Meistertitel und drei Mal den Cup, er hatte Momente der Grösse, aber nie den langen Atem, die Grösse zu institutionalisieren.
Der Verein blieb ein Gefühl, ein Versprechen, eine Idee: nicht falsch, aber nie ganz zu Ende gedacht. Nun soll Malenovic ein System entwerfen, das den Klub weniger anfällig für Abstürze macht. Damit die Canepas weniger leiden und sie der FCZ weniger Geld kostet.
Es gab einmal eine Zeit, als der Klub seinem Ideal nahe war. Doch das ist lange her.
Der Traum von früherCanepas Paradox ist: Je länger er Präsident ist, desto härter muss er für den Erfolg arbeiten. Das Beste kam zu Beginn seiner Amtszeit, und es kam fast mühelos. Der FCZ spielte in der Champions League. Später sagte Canepa einmal, er habe diese Zeit zu wenig genossen. Der Höhepunkt war 2009 das Heimspiel gegen Real Madrid, als über 100 Millionen Menschen weltweit am TV zuschauten.
Es war die Zeit, als alles stimmte. Canepas Ideen für den Klub waren modern, er unterstützte den Frauenfussball, liess eine Vereinschronik schreiben und eröffnete ein Museum.
Damals passte alles zusammen, sportlich und atmosphärisch. Seither ist Canepa auf der Suche nach diesem Gefühl. Er erlebte 14 Cheftrainer, 5 Sportchefs, über 200 Spieler, die kamen, und 200, die wieder gingen. Aber so wie damals wurde es nie mehr.
Alle paar Jahre unternimmt der Verein darum den Versuch, sich so zu strukturieren, dass er ein zuverlässiger Spitzenklub wird. Das Wort, das dazu passt, hat Canepa aus seiner Zeit bei Ernst & Young mitgebracht: «change management». Wenn etwas nicht funktioniert, muss man es ändern. Canepa verwendet den Begriff seit Jahren. Weil er spürt, dass etwas nicht stimmt mit seinem Verein.
2013 sagte Canepa seinem damaligen Technischen Direktor Marco Bernet: «Mach etwas Neues aus meinem Klub!» Bernet sollte eine Spielidee für den Verein entwickeln und mehr eigene Talente fördern.
Ein paar Jahre später gab Canepa dem finnischen Trainer Sami Hyypiä eine Carte blanche, um den Klub im sportlichen Bereich so umzugestalten, wie er es für richtig hielt. Nach dem Wiederaufstieg 2017 war es der Sportchef Thomas Bickel, der den FCZ durchorganisieren sollte wie die Bundesligavereine aus Leipzig oder Hoffenheim.
Die Versuche dauerten nie lange. Dann brach man sie wieder ab.
Mit Milos Malenovic wollen es die Canepas diesmal richtig machen. Auch wenn es am Anfang weh tut. Doch dieser Anfang zieht sich. Und er schmerzt mehr, als die Canepas gedacht hatten.
Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»
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