Pensionsverpflichtungen: Zeit für De-Risking statt Zeit zum Durchatmen

Die Pensionsverpflichtungen der Dax-Unternehmen sind zu knapp 83 Prozent mit Kapital gedeckt – ein Spitzenwert. Das Pensionsvermögen stieg nach einer Mercer-Analyse 2024 im Vergleich zum Vorjahr von rund 258 um etwa 6 auf rund 264 Milliarden Euro. Da der Rechnungszins ungefähr gleich blieb oder nur leicht stieg, verminderte sich der Wert der Pensionsverpflichtungen in den IFRS-Abschlüssen der Dax-Unternehmen von 324 auf etwa 320 Milliarden Euro.
Doch es lauern weiter Risiken, die die Unternehmensergebnisse und -bilanzen erheblich beeinflussen können: Pensionsverpflichtungen könnten durch einen niedrigeren Rechnungszinssatz ansteigen, die Menschen leben länger, und auch die Inflationsrate verschärft die Situation. Steigt die Inflation, wachsen Zahlungen und Rückstellungen. Eine solche „Niveau-Erhöhung“ bleibt unumkehrbar – denn eine negative Inflation kürzt keineswegs Renten.
Untätigkeit ist für Arbeitgeber also keine sinnvolle Option. Stattdessen ist jetzt immer noch ein guter Zeitpunkt für De-Risking. Denn ein relativ hoher Rechnungszins bedeutet, dass Unternehmen Pensionsrisiken vergleichsweise „billig“ reduzieren können.
De-Risking funktioniert langfristig, damit Unternehmen Pensionsverpflichtungen planen, übertragen und abwickeln können. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Optionen. Leider betrachten die Unternehmen sie in der Praxis häufig isoliert. Dabei sollten sie Absicherungsstrategien gegen Pensionsrisiken gesamtheitlich bewerten und umsetzen, denn es spielen zahlreiche Parameter eine Rolle, die teils zusammenwirken – das macht es umso komplexer.
Um entscheiden zu können, welche De-Risking-Optionen für das Unternehmen mit seinen speziellen Zielen und Besonderheiten passen, braucht es einen Überblick über mögliche Handlungsweisen. Grundsätzlich können Unternehmen auf die Risiken aufseiten der Pensionsverpflichtungen wie auch aufseiten der sie finanzierenden Vermögenswerte einwirken.
Pensionszusagen zu ändern ist kompliziert. Die Möglichkeiten, sie zu gestalten, sind oft begrenzt. Die umfassendste Lösung wäre es, Pensionsverpflichtungen durch Abfindungen und Buy-out-Lösungen freizukaufen. Ein solcher Schritt ist aber nur eingeschränkt zulässig.
Grundsätzlich unterliegen laufende Leistungen aus Betriebsrenten, die Unternehmen ab dem 1. Januar 2005 erstmals ausgezahlt haben, einem Abfindungsverbot. Dieses Abfindungsverbot gilt auch für unverfallbare Anwartschaften, wenn das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Von dieser Regel ausgenommen sind Abfindungen von Kleinstanwartschaften, von vertraglich unverfallbaren Anwartschaften, von Anwartschaften im laufenden Arbeitsverhältnis und Anwartschaften im Rahmen der Erstattung der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung. Eine Abfindung ist ferner durch Liquidationsversicherung und im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs erlaubt.
Eine Lösung wäre es, eine Rentnergesellschaft zu gründen. Hierbei übertragen Unternehmen die Verbindlichkeiten gegenüber den Rentnern in eine rechtlich selbstständige Einheit und gliedern sie so vollständig aus. Das ist ein rein gesellschaftsrechtlicher Vorgang. Aber so entsteht eine zweite, nicht operativ tätige Gesellschaft.
Damit verkürzen die abgebenden Unternehmen ihre Bilanz und enthaften sie nach zehn Jahren. Zumindest dann, wenn sie bestimmte Mindestanforderungen an die Kapitalausstattung erfüllt haben, als sie Verpflichtungen umgewandelt beziehungsweise übertragen haben.
Eine weitere Option ist, den Pensionsplan zu ändern, indem die Unternehmen ihn schließen oder auf eine beitragsorientierte Lösung umstellen. Beides ist schwer umzusetzen. Die Unternehmen müssen die Stakeholder, insbesondere die Arbeitnehmervertretungen, einbinden. Auch müssen sie auf bestehende Zusagen und Besitzstände Rücksicht nehmen.
Möglich ist es zwar jederzeit, (arbeitgeberfinanzierte) Versorgungsregelungen für neu eingestellte Mitarbeitende zu schließen, weil es sich um eine freiwillige Sozialleistung des Arbeitgebers handelt. Aber das Recht der Arbeitnehmer auf eine betriebliche Altersversorgung aus Entgeltumwandlung bleibt bestehen.

Wenn Unternehmen die Pensionszusage innerhalb des Unternehmens finanzieren, bleiben die Pensionsverpflichtungen als Rückstellungen in der Bilanz enthalten. Sie sind per Definition mit Bilanzaktiva bedeckt, die nicht explizit zugeordnet und nicht insolvenzgeschützt sind. Unternehmen, die so verfahren, sollten – auch angesichts der Risiken auf der Bilanz – immer prüfen, ob dies weiterhin so bleiben soll.
Ein anderer Weg ist es, ein sogenanntes Planvermögen aufzubauen, das die Unternehmen auf externe Träger auslagern. Das können beispielsweise Pensionsfonds oder Treuhandverhältnisse und somit Contractual Trust Arrangements (CTAs) sein. Die Pensionsrückstellungen in der Bilanz werden – ganz oder teilweise – aufgelöst.
Unternehmen können Pensionsrisiken mit einem Planvermögen durch Kapitalanlagestrategien wie beispielsweise Asset-Liability Management (ALM), Liability Driven Investments (LDIs) oder Cashflow Driven Investments (CDIs) einfacher steuern. Sie sind flexibel, schnell einsetzbar und bieten eine optimale Ausgangslage, um das aktuelle Zinsumfeld zu nutzen und bei günstigen Kapitalmarktbedingungen dann auch zügig zu handeln.
Wenn Unternehmen sie umsetzen wollen, sollten sie vereinfacht die drei Kernfunktionen des Planvermögens mit den drei zugehörigen Grundstrategien betrachten, die nicht nur exklusiv, sondern kombiniert angewendet werden: Hedge, Grow und Pay. Wie Unternehmen die drei Grundstrategien optimal allokieren können, bestimmt sich nach Faktoren wie der Reife des Pensionssystems, dem Kapitalmarktumfeld und dem Ausfinanzierungsgrad. Letzterer gilt als starker Indikator, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen.
Indikator Ausfinanzierungsgrad- Ist das Verhältnis des Pensionsvermögens zu den Pensionsverpflichtungen niedrig und besteht die Zielsetzung, die Deckungslücke zu verringern, empfiehlt sich eine Anlage mit wachstumsorientiertem Fokus, also Grow-Strategie.
- Mit zunehmendem Deckungsgrad sollte die Strategie schrittweise in eine Absicherungs- und somit eine Hedge-Strategie übergehen, zum Beispiel durch Liabilitiy Driven Investments. Für sie spricht auch, wenn der Ausfinanzierungsgrad sehr hoch oder über 100 Prozent liegt, um ihn zu stabilisieren.
- Bei einem geschlossenen Pensionssystem verringert sich das Planvermögen, da durch Beitragszahlungen und Kapitalerträge allein die Rentenzahlungen nicht aufgebracht werden können. Jetzt sollte die Auszahlungssicherung und somit eine Pay-Strategie mittels Cashflow Driven Investments im Mittelpunkt stehen.
Um die richtige Strategie zu finden, können Unternehmen auch abwägen, ob der Fokus auf Bilanz oder auf Cashflows liegen soll. Aus Bilanzsicht ergibt es Sinn, das verfügbare Risikobudget als Zielgröße zu verwenden. Ein Beispiel dafür ist der Value at Risk von Pensionsrisiken, die sich auf das Eigenkapital auswirken. Ist das Risikobudget niedrig, empfiehlt sich eine Hedge-Strategie. Ist es hoch, sind ertragsorientierte Grow-Strategien möglich und sinnvoll.
Bei einer reinen Cashflow-Sicht und einem hohen Ausfinanzierungsgrad liegt der Fokus darauf, Renten auszuzahlen und Cashflow zu „matchen“, also eine Pay-Strategie. Ist der Ausfinanzierungsgrad niedrig, müssen Unternehmen ein gewisses Risiko eingehen, um die Deckungslücke zu schließen. Ein reines Cashflow Matching erlaubt das nicht. Es braucht eine Pay- oder Grow-Strategie mit einer gewissen Ertragsorientierung.
Sind Cashflow- und Bilanzziele erreicht, rückt das ultimative De-Risking-Ziel näher: eine vollständige Abwicklung etwa durch einen Buy-out.
Bewertung des PlanvermögensNach den International Financial Reporting Standards (IFRS) bewerten Unternehmen Planvermögen nach Marktwerten. Schwanken Zinsniveau oder Kapitalmarkt, beeinflusst das unmittelbar die Pensionsverpflichtungen. Dafür besteht aber die Möglichkeit, das Planvermögen mit Marktinstrumenten abzusichern. Steigen die Rechnungszinsen, fallen die Pensionsrückstellungen – und umgekehrt.
Das Handelsgesetzbuch (HGB) hingegen legt einen durchschnittlichen Rechnungszins zugrunde, der sich aus mehreren Jahren ergibt. Zinsänderungen wirken deutlich moderater, was Volatilität der Pensionsrückstellungen in der Bilanz verringert, eine Steuerung der Bedeckung mit Planvermögen aber erschwert. Es gibt jedoch Möglichkeiten, Teile des Pensionsplanvermögens über Buchwerte zu berücksichtigen. Das stabilisiert meist die Bedeckung in der HGB-Bilanz.
Fazit: Jetzt handelnIn der Niedrigzinsphase war De-Risking über Kapitalanlagestrategien teuer. Auch wenn der HGB-Rechnungszins der Marktentwicklung hinterherläuft – solange die Zinsen auf aktuellem Niveau verharren, lohnt sich De-Risking weiter. Doch das Zeitfenster kann sich schnell schließen, und die Frage stellt sich: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Über den Autor:
Olaf John ist seit Mai 2024 Direktor für die Investmentlösungen europäischer Kunden bei L&G. Sein offizieller Titel ist European Client Solutions Director. John leitete vor seinem Wechsel die kommerziellen Investmentlösungen sowie die deutsche Niederlassung von Mercer Global Investments. Davor war er Leiter europäische Geschäftsentwicklung bei Insight Investment.
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