Alte Römer | Pompejanum: Eine Gartenmauer als Ausblick
Am 24. August 79 unserer Zeitrechnung gegen 10 Uhr vormittags sahen die Menschen in Pompeji, wie unter einem infernalischen Getöse die Bergspitze des Vesuvs aufbrach. Glutflüssiges, gasreiches Magma wurde hoch in die Luft geschleudert, zerbarst durch den entweichenden Gasdruck und fiel, vom Wind nach Süden getrieben, als Asche- und Bimssteinregen auf Pompeji nieder.
Zu diesem Zeitpunkt war die Stadt im Küstenhinterland des Golfs von Neapel seit eineinhalb Jahrhunderten römische Kolonie, offiziell hieß sie Colonia Veneria Cornelia Pompeianorum. Die vor dem Ascheregen Fliehenden, viele oskisch-samnitischen Ursprungs, kamen nicht weit. Sie brachen nach kurzer Zeit vor Erschöpfung zusammen, und wer sich in die Villen oder Grabbauten retten wollte, erstickte oder wurde von den unter den zahlreichen Erdstößen einstürzenden Bauten erschlagen. Der Wohlstand der Stadt wurde zum Verschwinden gebracht. Er beruhte auf Sklavenarbeit, wie eine kürzlich in der britischen Zeitschrift »Past & Present« veröffentlichte Studie von Seth Bernard (Universität Toronto) unterstreicht.
Pompeji lag unter einer verhältnismäßig lockeren Ascheschicht. Die fruchtbaren Böden bedeckte üppiger Pflanzenbewuchs. Kaum einer wusste noch von dem verheerenden Vulkanausbruch. Erst 1748 wurden Ausgrabungen begonnen. Nach 1808 erlebten diese einen großen, aber nur kurz währenden Aufschwung, als der französische Offizier Joachim Murat und seine Frau Caroline, die Schwester Napoleons, den neapolitanischen Thron bestiegen. Die zutage geförderten Gegenstände wurden bald zu begehrten Sammlerobjekten. Gegraben wird in Pompeji bis heute. Im Oktober letzten Jahres wurde ein Haus freigelegt, wobei vier Wandgemälde sichtbar wurden, darunter eines, das einen Satyr und eine Nymphe beim Sex zeigt.
In Aschaffenburg kann man eine Nachbildung einer römischen Villa, wie sie einst in Pompeji stand, betrachten: das Pompejanum. Wegen ihres milden Klimas wird die unterfränkische Stadt gerne als das »bayerische Nizza« bezeichnet. Diesen Namen verdankt sie Ludwig I., 1825 bis 1848 König von Bayern, der das Mittelmeerklima liebte. Aschaffenburg erklärte er zu seinem bevorzugten Sommersitz. 1826 erwarb er Teile der Sammlung von Caroline Murat, deren Pompeji-Leidenschaft er teilte. Ludwig war seit seiner Kronprinzenzeit mehrfach in der ausgegrabenen Römerstadt gewesen. Ihr einstiger Untergang wurde von ihm dichterisch beklagt: »Was die Erde getreu achtzehn Jahrhunderte barg/ In dem heiligen Dunkel, erlischt bald, wenn es gekommen/ an das Licht, wir nur sehn’s, um es nie wieder zu seh’n …«
Besonders die reich ausgestatteten Villen Pompejis hatten es ihm angetan. Sie inspirierten ihn, diese Lebenswelt auch nördlich der Alpen erlebbar zu machen. So entstand das Pompejanum, das über einem kleinen Weinanbaugebiet am Main aufragt. Vorbild für Architektur und Ausstattung war die Casa dei Dioscuri, das Haus von Castor und Pollux, in Pompeji. Die Idee zu einer Kopie dieses Gebäudes im Maßstab 1:1 kam Ludwig vermutlich auf einer gemeinsamen Reise mit seinem Architekten Friedrich von Gärtner (1791–1847) im Jahr 1839. Dieser leitete dann die Bauarbeiten, sein Nachfolger war sein Neffe Karl Friedrich Klump (1811–1885). Mit der Ausstattung des Hauses beauftragte Ludwig seinen künstlerischen Berater Martin von Wagner (1777–1858).
Das Pompejanum steht anders als die römischen Häuser in Pompeji frei, und Friedrich von Gärtner fügte eine wirkungsvolle Außentreppe mit Säulenvorbau und einem Aussichtspavillon auf dem Dach hinzu. 1848 war der Rohbau praktisch vollendet, die Innenausstattung war 1850 fertig. Schnell setzte jedoch der Verfall des Neubaus ein, da die feuchtigkeitsempfindlichen Wandmalereien der offenen südlichen Bauweise dem rauen fränkischen Winterklima nicht gewachsen waren. Der Aschaffenburger Maler Adalbert Hock (1866–1949) war vier Jahrzehnte lang immer wieder mit Ausbesserungs- und Neuschöpfungsarbeiten beschäftigt.
Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Pompejanum schwer getroffen, in den Erdgeschossräumen um das Atrium herum stürzten Decken und Wände samt den Malereien ein. Erst im August 1994 wurde das Erdgeschoss des Pompejanums als erster Museumsabschnitt eröffnet.
Die heutigen Besucher*innen sehen ein Museum seiner selbst, da die Restaurierung in Abstufungen erfolgte. Der Originalzustand der Wandbemalung ist an vielen Stellen sichtbar bzw. zu erahnen. Der Bau besteht aus einem fast quadratischen Bereich um das Atrium und einem etwas größeren Gebäudetrakt, der sich U-förmig um das Viridarium, den Hausgarten, legt. Im Gebäude verteilt ruhen auf Podesten Kunstmarmorköpfe griechischer Dichter und Denker sowie der bedeutenden römischen Kaiser bis zum Untergang Pompejis. In der Mitte der roten Wandfelder sind die nach Vorbildern im Haus von Castor und Pollux gemalten mythologischen Gestalten zu sehen. In einem restaurierten Cubiculum (Schlafzimmer) steht eine Marmorstatue des Bacchus (griech. Dionysos), des Gottes des Weines, in einem weiteren eine Statue der Fortuna, die als »Agathe Tyche« (das gute Schicksal) in der griechischen und römischen Kunst dargestellt wird.
Die Römer speisten liegend, das heißt ausgestreckt auf couchähnlichen Liegen und auf Kissen gestützt. Ihr Speisezimmer hieß Triclinium, weil dort üblicherweise drei Klinen, also drei Liegen, hufeisenförmig zusammengestellt oder um einen Tisch angeordnet waren. Die Klinen in den beiden Speisezimmern des Pompejanums sind moderne Kopien. Das Sommertriclinium, zu erreichen durch die Säulenhalle, bietet einen Blick auf das Viridarium (von lat. »grün«), den Hausgarten.
In Pompeji stieß die Rückseite des Viridariums meist entweder an eine Straße, wie etwa bei Haus von Castor und Pollux, oder an die Rückwand des nächsten Hauses. Deshalb wurde auch diese Seite des Gartens mit einer Mauer geschlossen und mit Gartenmotiven bemalt. Springbrunnen, Vögel, Bäume und blühende Sträucher sollten den kleinen Hausgarten optisch vergrößern. Im Pompejanum führt die Nachahmung zu dem eigentümlichen Ergebnis, dass auf eine Gartenmauer, die den Ausblick in die Umgebung versperrt, ein solcher Ausblick aufgemalt wurde.
Der weiße Mosaikfußboden mit schwarzen Punkten im Vorraum zum Sommertriclinium ist der am besten erhaltene im Pompejanum. Auf ihm ruht eine weiße Marmorfigur eines trunkenen Satyrs, der sich auf einen Weinschlauch stützt. Es handelt sich dabei um eine römische Kopie nach einem griechischen Original. Wer trunken wie der Satyr sein möchte, hat es nicht ganz leicht: Der »Pompejaner«, also der Wein, der aus den Trauben gewonnen wird, die unterhalb des Pompejanums reifen, ist nur in einer einzigen Aschaffenburger Getränkehandlung erhältlich, deren Name an der Kasse dieses königlichen Anschauungsobjekts zum Studium der antiken Kultur erfragt werden kann.
Pompejanum, Pompejanumstr. 5, Aschaffenburg. Von November bis März geschlossen, ebenso Montags (außer an Feiertagen). Bis zum 31.10. ist die Sonderausstellung »Inspiration Pompeji – 175 Jahre Innenausstattung des Pompejanums «zu sehen: bisher nicht gezeigte Zeichnungen aus der Bauzeit und ein Silberschatzfund aus Pompeji.
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